Das Geheime Vermächtnis
wie festgenagelt. Dann schaut er hinaus in die feindselige Nacht.
»Also gut. Danke«, sagt er nickend.
Ich führe Dinny ins Arbeitszimmer. Das Feuer ist erloschen, aber das Zimmer ist noch sehr warm. Ich ziehe die Vorhänge zu.
»Himmel, es ist so pechschwarz da draußen! In London muss man die Vorhänge nachts gegen das Licht von draußen schließen, hier muss man die Dunkelheit aussperren«, bemerke ich. Der Wind wirft ein vertrocknetes Blatt an die Fensterscheibe und hält es dort fest. »Bist du immer noch der Meinung, es gäbe kein schlechtes Wetter?«, frage ich ironisch.
»Ja, aber ich gebe zu, dass ich heute Nacht definitiv die falsche Kleidung trage«, räumt Dinny ein.
»Setz dich. Ich hole uns einen Cognac«, sage ich. Ich schleiche in den Salon und hole die Karaffe und zwei Kristallgläser, so leise wie möglich. Sacht schließe ich die Tür. »Beth schläft«, erkläre ich ihm und schenke uns ein.
»Das Haus sieht noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe«, bemerkt Dinny, trinkt einen Schluck von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und verzieht leicht das Gesicht.
»Meredith hat von unnötigen Veränderungen nie viel gehalten«, sage ich achselzuckend.
»Die Calcotts gehören zur alten Garde. Warum hätte sie irgendetwas verändern sollen?«
» Gehörten zur alten Garde. Von Beth und mir kann man das kaum behaupten – ich bin eine bettelarme Lehrerin, um Himmels willen, und Beth eine berufstätige, alleinerziehende Mutter.«
Dinny grinst ironisch. »Das muss die alte Krähe mächtig geärgert haben.«
»Danke. Das hoffen wir auch.« Ich erwidere sein Grinsen. »Möchtest du noch einen?«, frage ich, als er sein Glas geleert hat. Er schüttelt den Kopf, lehnt sich in seinem Sessel zurück, streckt die Arme über den Kopf, biegt den Rücken durch und räkelt sich wie eine Katze. Ich beobachte ihn und spüre Hitze im Bauch, während mir der Puls in den Ohren rauscht.
»Aber auf das Angebot mit der Dusche würde ich gern zurückkommen. Ich gebe zu, es ist eine ganze Weile her, seit ich Zugang zu einem richtigen Bad hatte.«
»Klar.« Ich nicke lässig. »Hier entlang.«
Das Zimmer, das am weitesten von Beths entfernt liegt, ist Merediths Schlafzimmer. Es hat ein eigenes Bad mit der besten Dusche im Haus – die große Glaskabine ist trüb vor Kalkablagerungen, aber darin hängt eine dieser riesigen Kopfbrausen, unter denen man in einem breiten Wasserfall aus heißem Wasser steht. Ich suche ein neues Stück Seife und ein sauberes Handtuch heraus und schalte die Nachttischlampe an, weil die Deckenleuchte im Schlafzimmer zu hell ist – falls Beth doch wach sein sollte, könnte sie den Lichtstreifen unter der Tür sehen und nachschauen, was hier los ist. Dinny bleibt mitten im Raum stehen, dreht sich einmal um sich selbst und betrachtet das große, mächtige Bett, die schweren Vorhänge, das elegante, antike Mobiliar. Der Teppich auf den unebenmäßigen Bodendielen ist abgewetzt und salbeigrün. Da ist dieser vertraute, schwache Geruch nach Staub, Mottenkugeln und Hund.
»Das ist ihr Zimmer, oder? Lady Calcotts Zimmer?«, fragt Dinny. Im schummrigen Licht kann ich den Ausdruck in seinen dunklen Augen nicht erkennen.
»Es hat die beste Dusche«, erkläre ich leichthin.
»Es fühlt sich irgendwie … falsch an, hier drin zu sein.«
»Ich finde, sie ist dir mindestens eine Dusche schuldig«, entgegne ich sanft. Dinny sagt nichts, sondern knöpft sein Hemd auf, und ich verlasse eilig den Raum.
Als ich den Flur entlangschleiche, höre ich die Dusche rauschen. Die Rohre gurgeln und klopfen in den Wänden, und ich schließe die Augen und hoffe inständig, dass Beth nicht aufwacht. Doch noch während ich dem Gedanken nachhänge, taucht sie auch schon auf – sie lugt um die Kante ihrer Zimmertür am anderen Ende des Flurs. Das Haar hängt ihr zu beiden Seiten des Gesichts herab, und ihre nackten Füße sehen weiß und verletzlich aus.
»Erica? Bist du das?« Ihre Stimme klingt angespannt, alarmiert.
»Ja – alles in Ordnung«, sage ich leise. Dinny soll nicht hören, dass sie wach ist.
»Warum bist du noch auf? Wie spät ist es denn?« Sie gähnt.
»Früher Morgen. Geh wieder ins Bett, Süße.« Beth reibt sich das Gesicht. Sie sieht mich mit großen Augen an, verwundert und jetzt richtig wach.
»Erica? Wer duscht denn da?«, fragt sie.
»Dinny.« Ich blicke auf meine Füße in den schmutzigen Socken hinab und winde mich schuldbewusst.
»Wie bitte? Was ist hier los?«
»Nichts
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