Das Geheime Vermächtnis
Kinderzimmer haben, den runden Queen-Anne-Tisch aus dem Ar beitszimmer und die Sammlung von Miniaturen, die in einer Vitrine am Fuß der Treppe wohnen. Ich bin nicht sicher, dass Meredith es so gemeint hat, als sie sagte, ihre Kinder dürften sich ein Andenken aussuchen, aber im Grunde ist es mir egal. Ich vermute, dass am Ende der Woche noch einiges mehr den Weg in Cliffords Lastwagen finden wird, und Meredith hätte sich darüber vielleicht aufgeregt – ich nicht. Dies ist ein großes Haus, aber es ist nicht Chatsworth. Hier gibt es keine kostbaren Museumsstücke, abgesehen vielleicht von ein paar Bildern. Nur ein großes, altes Herrenhaus voll großer, alter Dinge: wertvoll, vielleicht, aber nicht geliebt. Unsere Mutter hat mich nur gebeten, ihr alle Familienfotos mitzubringen, die ich finden kann. Ich liebe sie für ihren Anstand und für ihr gutes Herz.
Ich will hoffen, dass Clifford genug Leute schickt. Der Wäscheschrank ist gewaltig. Er ragt an der Wand gegenüber der Tür zum Kinderzimmer auf: ein gefühlter Hektar französischer Mahagoni mit Türmchen und Gesimsen, ein Tempel der Wäschestärke, der Mottenkugel geweiht. Dahinter steht ein hölzerner Klapptritt, der jetzt unter mir knirscht und wackelt. Ich ziehe steife, feste Leinenstapel aus den Fächern und lasse sie auf den Boden fallen. Sie sind flach und schwer, und jeder Aufprall lässt die Bilder wackeln. Staub wirbelt auf, meine Nase juckt, und Beth eilt herein, um nach zusehen, was ich jetzt wieder anstelle. Da ist so viel Zeug. Generationen von Bettlaken, so abgenutzt, dass sie ausgetauscht wurden, aber noch nicht abgenutzt genug, um sie wegzuwerfen. Manche dieser Wäschestapel hat womöglich seit Jahrzehnten niemand mehr angerührt. Ich erinnere mich an Merediths Haushälterin, die früher mit hoch beladenen Armen hier heraufgeschnauft kam – an ihre rot geäderten Wangen und ihre breiten, hässlichen Hände.
Als ich den Wäscheschrank geleert habe, überlege ich, was ich mit den Leinenbergen anfangen soll. Ich könnte sie einer Wohlfahrtsorganisation spenden. Aber ich fühle mich der Aufgabe, alles in Müllsäcke zu packen, es dann hinunter zum Auto zu schleppen und in mehreren Fuhren nach Devizes zu bringen, einfach nicht gewachsen. Also stapele ich die Sachen einfach an der Wand wieder auf, und dabei springt mir ein Muster ins Auge, ein schwacher Farbklecks zwischen all dem Weiß. Gelbe Blumen. Drei Kissenbezüge mit gelben Blüten und grünen Stängeln; sie sind in die Ecken gestickt, mit Seidengarn, das noch immer das Licht einfängt. Ich streiche mit dem Daumen über die feine Stickarbeit und spüre, wie weich der Stoff vom jahrelangen Gebrauch geworden ist – weich wie Wasser. Da ist etwas in meinem Hinterkopf, etwas, das ich wiedererkenne, aber ich bekomme es nicht zu fassen. Habe ich das Muster schon einmal gesehen? Die Blumen sehen wild aus, nicht wie Zierpflanzen. Ich kann sie nicht benennen. Und es sind nur drei Kissenbezüge. Sonst waren es immer vier von jeder Garnitur. Ich lasse sie wieder auf den Stapel fallen und lege noch mehr Wäsche obendrauf. Ich ertappe mich dabei, dass ich die Brauen runzle, und entspanne bewusst die Stirn.
Clifford und Mary sind Henrys Eltern. Waren Henrys Eltern. Sie waren in Saint-Tropez, als er verschwand, woraus die Presse unfairerweise eine große Sache machte. Als hätten sie ihn bei fremden Leuten zurückgelassen, oder allein zu Haus. Unsere Eltern machten das auch so. Wir verbrachten oft die gesamten Schulferien hier, und in den meisten Jahren verreisten Mum und Dad ohne uns, zwei oder sogar drei Wochen. Nach Italien zum Wandern, in die Karibik zum Segeln. Ich mochte und fürchtete die Zeit ohne sie gleichermaßen. Ich mochte sie, weil Meredith nie viel nach uns schaute, nie he-rauskam, um nach uns zu suchen, wenn wir stundenlang wegblieben. Wir fühlten uns befreit und rannten wie die Wilden in der Gegend herum. Aber ich fürchtete diese Zeiten auch, weil wir drinnen Meredith ganz allein überlassen waren. Wir mussten bei ihr sein. Wir mussten mit ihr essen, ihre Fragen beantworten, uns Lügen ausdenken. Mir kam damals nie der Gedanke, dass ich sie nicht mochte oder dass sie ein unangenehmer Mensch war. Ich war noch zu jung, um so zu denken. Aber wenn Mum wiederkam, stürzte ich mich immer auf sie und klammerte mich mit feuchten Händen an ihr fest.
Beth ließ mich gar nicht mehr aus den Augen, wenn unsere Eltern weg waren. Wenn sie vor mir herging, streckte sie eine Hand leicht nach
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