Das Geheime Vermächtnis
meine Adresse in London geben, und du musst mir selbstverständlich schreiben. Aber ich vermute, dass du auf deiner Farm genug Gesellschaft finden wirst. Gewiss gibt es andere Farmersfrauen in der Nachbarschaft«, sagte sie mit schwachem Lächeln und wandte sich wieder ihrem Buch zu. Carolines Spitzenkragen schien sie ersticken zu wollen. Sie spürte einen Stich der Angst und wusste nicht, ob sie zu oder vor Bathilda flüchten sollte.
»Du hast mir nie so etwas wie Liebe gezeigt«, flüsterte sie mit ängstlicher, angespannter Stimme. »Ich weiß nicht, warum es dich so überrascht, dass ich der Liebe nachlaufe, wenn sie mir angeboten wird.« Und sie verließ den Raum, ehe Bathilda über ihre Gefühle herziehen konnte.
Also heiratete Caroline, ohne dass jemand sie zum Altar geleitete und ohne Familie in ihrem Rücken. Sie entschied sich für ein Kleid aus feinem weißen Musselin mit einer breiten Spitzenpasse auf der Brust und frischen weißen Rüschen am Ausschnitt und den Ärmelaufschlägen. Das Haar trug sie hoch aufgetürmt und mit Elfenbeinkämmen festgesteckt, dazu kleine Perlenohrringe als einzigen Schmuck. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, und als sie einen letzten Blick in den Spiegel warf, zeigte sich ihr Antlitz recht blass. Obwohl es nicht warm war, trug sie den seidenen Fächer ihrer Mutter am Handgelenk und spielte auf dem Weg zu einer kleinen Kirche in der Upper East Side, wo Corin aufgewachsen war, nervös damit herum. Sara, ihr Dienstmädchen, saß ganz allein auf der Seite der Braut, und als Caroline eintrat, sehnte sie sich schrecklich danach, ihre Eltern dort zu sehen. Corin trug einen geborgten Anzug und Krawatte, hatte das Haar ordentlich zurückgekämmt und war frisch rasiert, die weiche Haut noch ein wenig gerötet. Er nestelte an seinem Kragen, als sie den Weg zum Altar antrat, doch dann begegnete er ihrem furchtsamen Blick, und er lächelte und wurde ganz still, als zählte sonst nichts auf der Welt. Seine Mutter und seine zwei älteren Brüder waren da und sahen ernst zu, wie das Paar vor dem Pfarrer das Gelöbnis ablegte. Mrs. Massey trug noch Trauer, und obwohl sie ihre Schwiegertochter in der Familie willkommen hieß, war ihr Kummer noch zu frisch, als dass sie sich wirklich hätte freuen können. Der Tag war wieder einmal verregnet, in der Kirche war es dunkel und still, und es roch nach feuchtem Gemäuer und Kerzenwachs. Caroline machte das alles nichts aus. Ihre Welt bestand nur noch aus dem Mann vor ihr, der ihre Hand nahm, der sie so besitzergreifend ansah und mit solcher Überzeugung sprach, als er ihr das Eheversprechen gab. Als ihre Hände vor Gott vereint wurden, überkam Caroline ein so unbeschreibliches Glücksgefühl, dass sie es nicht zurückhalten konnte, und es ergoss sich aus ihr in einem Strom von Freudentränen, die Corin von ihren Wangen küsste. Mit ihm würde nun endlich ihr wahres Leben beginnen.
Doch zur Bestürzung seiner frisch Angetrauten packte Corin sogleich seine Sachen und bereitete sich darauf vor, New York schon am folgenden Tag zu verlassen.
»Wir werden unsere Hochzeitsnacht in unserem Heim begehen, in dem Haus, das ich für uns gebaut habe – nicht hier in einem Haushalt, der noch um meinen Vater trauert. Ich bin zu einer Beerdigung hierhergekommen und habe nicht damit gerechnet, eine Frau zu finden«, erklärte er strah lend und küsste ihre Hände. »Ich muss ein paar Dinge in Ordnung bringen und das Haus für deine Ankunft vorbereiten. Ich will, dass alles perfekt ist.«
»Es wird schon perfekt sein, Corin«, versicherte sie ihm. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, einen Mann allein mit Vornamen anzusprechen. Seine Küsse brannten auf ihrer Haut und raubten ihr fast den Atem. »Bitte, lass mich gleich mitkommen.«
»Gib mir einen Monat, um mehr bitte ich dich nicht, meine Liebste. Komm mir in vier Wochen nach, bis dahin habe ich alles vorbereitet. So hast du auch Zeit, dich von all deinen Freundinnen zu verabschieden, und ich habe Zeit, vor meinen Freunden damit zu prahlen, dass ich das schönste Mädchen in ganz Amerika geheiratet habe«, entgegnete er. Also erklärte sie sich einverstanden, obwohl es ihr vorkam, als verdüsterte sich mit seiner Abreise der Himmel.
Sie besuchte ein paar alte Schulkameradinnen, um sich zu verabschieden, doch die meisten waren entweder beschäftigt oder nicht anzutreffen. Schließlich begriff sie, dass sie zur Persona non grata geworden war, also verbrachte sie die rest lichen Wochen zu Hause und
Weitere Kostenlose Bücher