Das Geheime Vermächtnis
Kunstlehrerin in ihrem Klassenzimmer eingesperrt hatte. Die Jungen haben ein paar Spinde vor ihre Tür geschoben!« Beths laute, helle Stimme erschreckt mich.
»Das war nicht meine Idee, Mum!«
»Du hast aber mitgeholfen«, entgegnet Beth. »Was, wenn es gebrannt hätte oder so? Sie war stundenlang da drin!«
»Tja … dann hätten sie eben Handys in der Schule nicht verbieten dürfen, oder?«, erwidert Eddie lächelnd. Ich fange im Rückspiegel seinen Blick auf und zwinkere ihm zu.
»Edward Calcott Walker, ich bin schockiert«, sage ich leichthin. Beth funkelt mich an. Ich muss wirklich daran denken, mich nicht mit Eddie gegen sie zu verbünden, nicht einmal in solchen Kleinigkeiten. Er und ich gegen sie, das darf nicht sein, nicht mal eine Sekunde lang. Sie ärgert sich ohnehin schon, weil ich ihr helfe.
»Ist das ein neues Auto?«, fragt er.
»Sozusagen«, antworte ich. »Mein alter Käfer hat endgültig den Geist aufgegeben. Warte nur, bis du das Haus siehst, Ed. Es ist riesig.« Doch als wir da sind und ich ihn erwartungsvoll ansehe, nickt er nur und zieht die Augenbrauen hoch, gar nicht beeindruckt. Dann denke ich, dass das Her renhaus wohl nur so groß ist wie ein Seitenflügel seiner Schule – vielleicht kleiner als die Häuser seiner Freunde.
»Ich freue mich so, dass du wieder Schulferien hast, Schatz«, sagt Beth und nimmt Eddie die Reisetasche ab. Er lächelt sie etwas betreten von der Seite an. Irgendwann wird er größer sein als sie – er reicht ihr jetzt schon bis zur Schulter.
Ich zeige Eddie das Anwesen, während Beth sich sein Zeugnis vornimmt. Ich führe ihn hoch zu dem Hügelgrab, um das trübselige Wäldchen herum und schließlich zum Teich. Er hat irgendwo einen langen Stock gefunden, lässt ihn durch die Luft sausen und köpft damit Unkraut und tote Brennnesseln. Heute ist es wärmer, aber feucht. Feiner Sprüh regen hängt im Wind, und über uns klappern kahle Zweige.
»Warum sagt man dazu Grundwasserweiher? Ist das nicht einfach nur ein Teich?«, fragt er und klatscht mit seinem Stecken auf den Rand, wo er gelenkig mit den knochigen Beinen in die Hocke geht. Kleine Wellen huschen über die Wasseroberfläche. Die Taschen seiner Jeans sind ausgebeult von heimlich gesammelten Schätzen. Da ist er wie eine Elster, aber er steckt Sachen ein, die niemand vermissen würde. Alte Sicherheitsnadeln, Kastanien, blau-weiße Porzellanscherben, die aus dem Boden schauen.
»Hier fängt der Bach an. Der Weiher wurde vor langer Zeit ausgehoben, als eine Art Wasserreservoir. Und er wird vom Grundwasser gespeist.«
»Kann man darin schwimmen?«
»Das haben wir früher oft gemacht – Dinny, deine Mum und ich. Obwohl … ich glaube, deine Mum war nie ganz drin. Er war immer ziemlich kalt.«
»Jamies Eltern haben so einen coolen Teich zum Schwimmen – der ist wie ein Swimmingpool, nur ohne Chlor und Kacheln und so. Da wachsen Pflanzen drin und alles. Aber er ist sauber.«
»Klingt toll. Nur nicht zu dieser Jahreszeit, was?«
»Stimmt. Wer ist Dinny?«
»Dinny … war ein Junge, mit dem wir früher oft gespielt haben. Wenn wir als Kinder hier zu Besuch waren. Seine Familie hat in der Nähe gewohnt. Also …« Ich verstumme. Warum sollte es mir so unangenehm sein, über Dinny zu sprechen? Dinny mit seinen viereckigen Händen, die so geschickt darin waren, irgendwelche Dinge zu bauen. Dunkle Augen, die durch seinen langen Pony strahlten, und sein Schopf, in den ich einmal Gänseblümchen gesteckt habe, während er schlief – zitternd vor unterdrückter Heiterkeit über meinen eigenen Wagemut, ihm so nah zu kommen und ihn zu berühren. »Er war ein echter Abenteurer. In einem Sommer hat er uns ein Baumhaus gebaut …«
»Können wir es uns anschauen? Ist es noch da?«, fragt Eddie.
»Wir können ja mal nachsehen, wenn du magst«, biete ich ihm an. Er grinst und läuft ein paar Schritte voraus, zielt auf einen Schössling und attackiert ihn mit einem beidhändigen Hieb.
Eddies zweite Zähne haben sich noch nicht ganz zurechtgefunden. Sie scheinen in seinem Mund um die richtigen Plätze zu drängeln. Da sind große Lücken, und zwei stehen leicht über Kreuz. Bald werden sie in einer Zahnspange stecken. Eddie und ich stehen uns näher als viele andere Tanten und Neffen. Ich war zwei Monate lang bei ihm, während Beth sich erholte, während sie sich helfen ließ . Das war eine anstrengende Zeit, in der es darum ging, weiterzumachen und die Fassade zu wahren, normal zu sein und nicht kompliziert.
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