Das Geheime Vermächtnis
zurück.
Ich schließe die Augen und schaue nur mit dem Körper – beobachte jede selbstsichere Bewegung seiner Hände, den warmen Hauch seines Atems, sein Gewicht auf mir. Ich ziehe seine Ellbogen unter ihm weg. Ich will, dass er mich ganz bedeckt, mich zerdrückt. Jetzt ist nichts Reserviertes mehr an ihm, kein Zögern, kein Nachdenken. Er runzelt auf völlig neue Art die Stirn, als er die Hände unter meine Hüften schiebt, mich anhebt, bis ich genau an seinen Körper passe, und hart in mich eindringt. Ich will meinen ganzen Geist hiermit tätowieren, ihn für immer bei mir in diesem Raum behalten, seinen Geschmack auf meiner Zunge, und den Herzschlag zwischen jeder Sekunde ins Unendliche ausdehnen. Salziger Schweiß auf seiner Oberlippe, heisere Worte in meinem Haar. Sonst will ich nichts.
»Ich könnte doch bei dir bleiben«, sage ich danach. Meine Augen sind vertrauensvoll geschlossen. »Ich könnte bei euch bleiben und dir mit Harry helfen. Arbeit finde ich überall. Du solltest nicht ganz allein für ihn sorgen müssen. Ich könnte dir helfen. Ich könnte bei dir bleiben.«
»Und die ganze Zeit herumreisen und so leben wie wir?«
»Na, warum denn nicht? Immerhin bin ich jetzt obdachlos.«
»Du bist alles andere als obdachlos. Du weißt ja gar nicht, wovon du redest.« Seine Finger sind um meine Schulter geschmiegt, und sie riechen nach mir. Ich presse mich an ihn. Seine Haut fühlt sich unter meiner Wange heiß und trocken an.
»Sicher weiß ich das. Ich will nicht zurück nach London, und hier kann ich auch nicht bleiben. Ich stehe dir voll und ganz zur Verfügung«, sage ich, und die Absurdität dieses Satzes bringt mich zum Lachen. Aber Dinny lacht nicht. Eine wachsende Anspannung in seinem Körper macht mich nervös. »Ich meine … ich will mich dir nicht aufdrängen oder so«, füge ich hastig hinzu. Ich könnte ihn ohnehin nicht halten, wenn er gehen wollte. Er seufzt, dreht den Kopf und drückt mir einen Kuss auf den Kopf.
»Es wäre gar nicht so schlecht, dich aufgedrängt zu bekommen, Erica. Schlafen wir darüber. Morgen sehen wir weiter.« Das sagt er so sanft, so leise, dass ich die Worte dem Vibrieren seiner Brust unter meinem Ohr entnehmen. Dieses leise Grollen klingt tief und resolut. Ich bleibe noch lange genug wach, um zu hören, wie sein Atem tiefer wird, langsamer, gleichmäßig. Dann schlafe ich ein.
Als ich aufwache, bin ich allein. Der Himmel ist trübe, ein mattes Weiß, und feiner Nieselregen sinkt zwischen den Bäumen herab. Eine Krähe hockt auf einem Ast vor dem Fenster, das Gefieder gegen das scheußliche Wetter gesträubt. Auf einmal sehne ich mich nach dem Sommer. Nach Wärme, trockenem Boden und einem weiten, weiten Himmel. Ich streiche mit der Hand über die Seite des Bettes, auf der Dinny gelegen hat, als ich eingeschlafen bin. Das Laken ist nicht mehr warm. Da ist keine Kuhle im Kissen, kein Nachhall seines Kopfes. Beinahe hätte ich mir nur einbilden können, dass er hier bei mir war, aber ich weiß, dass es nicht so ist. Ich weiß es. Ich werde jetzt nicht hinunterrasen. Ich werde nicht in Hektik verfallen. Ich werde mich zwingen, mich anzuziehen und eine Schüssel Müsli mit dem letzten Rest Milch zu essen. Heute werde ich entweder einkaufen oder abreisen müssen. Ich frage mich, was davon es wohl sein wird.
Ich rutsche über den durchweichten Rasen. Meine Gummistiefel glänzen nass und sind mit Laub beklebt. Heute fühle ich mich ganz klar im Kopf, zielstrebig. Das ist vielleicht verfrüht, weil ich die anstehenden Entscheidungen noch gar nicht getroffen habe, aber vielleicht bin ich jetzt endlich dazu bereit – vielleicht ist es das, was dieses Gefühl bedeutet. Ich habe eine Schachtel voller Sachen für Harry dabei. Ich habe sie in diversen Schubladen im Keller gefunden und wollte sie eigentlich wegwerfen, doch dann ist mir eingefallen, dass er vielleicht Spaß daran hätte. Ein kaputtes Radio, ein paar alte Taschenlampen und Batterien, Glühbirnen und kleine Metallgegenstände unbekannter Herkunft. Sie klappern in dem Karton unter meinem Arm. Mein Rücken schmerzt von Dinnys Gewicht, das er immer wieder gegen mein Becken gestoßen hat. Ich erschauere und halte diese körperliche Erinnerung ganz fest.
Ich stehe eine ganze Weile inmitten der feuchten Lichtung, während der Regen den Karton durchweicht. Keine Wagen, keine Hunde, keine Rauchfahnen. Der Platz ist verlassen, und ich bin allein zurückgeblieben – allein auf einer leeren Lichtung, die von Füßen
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