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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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das Gesicht. »Ich habe wohl zu lange auf den Knien gehockt. Und nicht aus einem der guten Gründe«, erkläre ich ihm.
    »Ach? Und was sind die guten Gründe?«, fragt Dinny mit einem ironischen Grinsen, bei dem mir warm wird.
    »Na, Beten natürlich«, sage ich todernst, und er lacht leise. Dann reicht er mir einen Briefumschlag.
    »Hier. Eine Karte von Honey. Ein Dankeschön für deine Hilfe neulich nachts und für die Blumen.« Er holt ein Gummiband aus der Tasche, klemmt es zwischen die Zähne, streicht sein Haar zurück und nimmt es im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammen.
    »Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen.«
    »Na ja, nachdem du neulich bei unserer Mutter warst, ist ihr aufgefallen, dass sie gar nicht Danke gesagt hat. Und jetzt, wo die Hormone sich wieder beruhigen, wird ihr wohl klar, wie abscheulich sie in den letzten paar Wochen war.«
    »Sie hatte wohl auch allen Grund dazu. Das muss eine schwere Zeit für sie gewesen sein.«
    »Sie hat sie sich selbst noch schwerer gemacht. Aber jetzt scheint alles gut zu laufen.«
    »Hier – nimm auch einen Ast.« Ich öffne beide Flügel der Haustür, und wir packen den Baum bei den untersten Ästen und schleifen ihn über den Boden. Er blutet Nadeln und hinterlässt eine grüne Spur.
    »Vielleicht hättest du erst kehren sollen, nachdem wir den Baum rausgeschafft haben?«, bemerkt Dinny.
    »Könnte sein«, stimme ich zu. Wir lassen den Baum in der Auffahrt liegen und klopfen uns die Nadeln von den Händen. Alles ist tropfnass hier draußen, schwer vom vielen Wasser. Die Bäume haben dunkle Schlieren wie von fiebrigem Schweiß. Die Saatkrähen lärmen im Garten. Ihre körperlosen Stimmen treffen auf das Haus und werden als metallisches Echo zurückgeworfen. Ich bilde mir ein, dass ich spüren kann, wie sie uns mit ihren harten kleinen Knopfaugen beobachten. Im Umkreis von vielen Meilen kann nichts so schnell sein wie das Pochen meines Herzens. Nichts so durcheinander wie meine Gedanken. Ich sehe Dinny an und werde plötzlich schüchtern. Ich kann dem, was zwischen uns ist, keinen Namen geben, kann seine Gestalt nicht deutlich ertasten. »Komm doch heute zum Abendessen«, sage ich.
    »Okay, gerne«, entgegnet er.
    Ich habe aus den letzten Resten alles Essbaren aus Speisekammer, Küche und Tiefkühltruhe eine Mahlzeit gezaubert. Dies ist das letzte Mal. Den Rest werde ich wegwerfen. All die uralten Dosen Senfmehl, Hundekekse, Sirupgläser mit festgerosteten Deckeln, Beutel mit Fertig-Béchamel. Das bewohnte Haus wird sich in ein leerstehendes verwandeln, ein Zuhause in eine Immobilie. Jederzeit kann es so weit sein. Ich habe Dinny gesagt, er könne Harry mitbringen, wenn er möchte. Das erschien mir nur passend. Ich habe das Gefühl, dass ich mich irgendwie an der Aufgabe beteiligen sollte, ihn zu versorgen und zu unterstützen. Aber Dinny hat das gespürt und die Stirn gerunzelt, und als er um sieben Uhr erscheint, ist er allein. Ein Käuzchen schreit in den Bäumen hinter ihm, als wollte es ihn ankündigen. Es ist eine stille Nacht, kalt und nass wie ein Flusskiesel.
    »Beth schien es schon besser zu gehen, als sie abgereist ist«, sage ich, öffne eine Flasche Wein und schenke zwei große Gläser ein. »Danke, dass du gesagt hast … was du ihr gesagt hast. Dass Henry glücklich ist.«
    »Es stimmt«, sagt Dinny und trinkt einen Schluck, der seine Unterlippe befeuchtet und scharlachrot anhaucht.
    Er hat es die ganze Zeit über gewusst. Die ganze lange Zeit, all diese Jahre. Dann kann er also gar nicht wissen, wie ich mich jetzt fühle – ich schaue nach unten und erkenne, dass ich doch keinen festen Boden unter den Füßen hatte.
    »Was ist das eigentlich?«, fragt er und stochert mit der Gabel im Essen herum.
    »Hähnchen à la Provence. Und das da sind Käseklöße. Bohnensalat und Spinat aus der Dose. Warum? Gibt es irgendein Problem?«
    »Nein, kein Problem«, sagt er und beginnt tapfer zu essen. Ich stecke mir eine Gabel voll Käsekloß in den Mund. Er hat die Beschaffenheit von Knetgummi.
    »Das ist scheußlich. Tut mir leid. Ich konnte noch nie besonders gut kochen«, sage ich.
    »Das Hühnchen ist nicht schlecht«, entgegnet Dinny diplomatisch. Wir sind das hier überhaupt nicht gewöhnt. Zusammen am Tisch zu sitzen und zu essen. Smalltalk. Das Konzept von uns beiden zusammen in dieser neuen Weltordnung. Das Schweigen zieht sich hin.
    »Meine Mum hat mir erzählt, dass du damals in Beth verliebt warst. Wolltest du deshalb niemandem sagen, was

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