Das Geheime Vermächtnis
Knochenreste. Das ist alles, was ihr Gesang bedeutet – wer die besten alten Rinderknochen gefunden hat. Sie stellen nichts Schlimmeres an, als den Siedlern mal ein Huhn zu stehlen, aber auch das tun sie nur, wenn sie müssen. Ich schätze, sie haben gelernt, Menschen nicht zu nahe zu kommen, wenn sie nicht eine Kugel in den Schwanz bekommen wollen …« Und so redete er mit leiser Stimme weiter, die irgendwie beruhigend wirkte, und Caroline fühlte sich davon getröstet. Hin und wieder trieb der Gesang der Kojoten über ihr Lager hinweg, gedehnt und klagend.
»Sie klingen so einsam«, murmelte sie.
Hutch warf ihr einen Blick zu, dessen Ausdruck sie im Schatten nicht erkennen konnte. Vorsichtig reichte er ihr einen Zinnbecher.
»Trinken Sie einen Kaffee, Ma’am.«
Der Sonnenaufgang weckte sie, das goldene Licht schimmerte unwiderstehlich in ihrem Zelt. Caroline hatte von Bathilda geträumt, die ihr über die Schulter schaute, während Caroline am Klavier Tonleitern übte, und dabei Handgelenke! Die Handgelenke! rief, wie sie es stets getan hatte. Im ersten Augenblick konnte Caroline sich nicht erinnern, wo sie war. Vorsichtig schob sie den Kopf aus der Zeltöffnung und stellte erleichtert fest, dass Hutch nirgends zu sehen war. Der Himmel im Osten war spektakulär. Caroline war noch nie im Leben so früh wach gewesen. Sie richtete sich auf und reckte sich, die Hände im Rücken. Ihr Haar war wirr, und vom Kaffee gestern Abend hatte sie einen säuerlichen Geschmack im Mund. Sie rieb sich die Augen und merkte, dass ihre Brauen voller Sand waren. Ebenso ihre Kleider. Unter ihren Ärmelbündchen klebte ein Ring aus Schmutz, und sie spürte ihn auch im Kragen, wo er an ihrer Haut rieb. Zerknäulte Decken lagen neben der erkaltenden Glut des Feuers und sagten ihr, wo der Vorarbeiter die Nacht verbracht hatte.
»Guten Morgen, Mrs. Massey«, rief Hutch, und sie fuhr zusammen. Er kam von der grünen Wiese hinter dem Wagen, in jeder Hand den Halfterstrick eines Braunen. »Wie war Ihre erste Nacht als Viehtreiberin?«, fragte er freundlich.
Caroline antwortete ihm höflich, obwohl sie seine Anspielung nicht ganz verstand. »Guten Morgen, Mr. Hutchinson. Ich habe gut geschlafen, danke.«
»Ich tränke die beiden am Bach da drüben, dann koche ich uns Frühstück«, erklärte er. Caroline nickte und sah sich um. »Ich habe Ihnen hier einen Eimer Wasser hingestellt, falls Sie sich frischmachen möchten«, fügte er hinzu und ging lächelnd am Lager vorbei.
Was Caroline wirklich brauchte, war eine Toilette. Sie zauderte eine Weile, dann dämmerte ihr voll Entsetzen, dass sie sich im Gebüsch würde erleichtern müssen. Indem Hutch so demonstrativ in die andere Richtung gegangen war, hatte er ihr wohl versichern wollen, dass er nicht in der Nähe sein und diese Demütigung mit ansehen würde. Er hatte einen kleinen Stapel Papierstreifen aus einer zerrissenen Zeitung und ein dünnes Baumwollhandtuch neben den so fürsorglich bereitgestellten Eimer Wasser gelegt. Mit vor Abscheu verzerrtem Gesicht nutzte Caroline diese wenigen Mittel, so gut es ging. Als Hutch zurückkehrte, bewies er erneut sein Feingefühl, indem er nach den bereitgelegten Gegenständen weder suchte noch fragte.
Bis zum Mittag war der Sonnenschein sengend heiß geworden, doch Carolines Arm, der den staubigen Sonnenschirm hielt, war schwer vor Erschöpfung. Sie gab auf, klappte den Schirm zu und legte ihn auf ihren Schoß. Als sie in den weiten, endlosen Himmel aufblickte, sah sie hoch oben zwei ferne, dunkle Punkte kreisen.
»Sind das Adler?«, fragte sie und deutete himmelwärts, wobei sie bemerkte, dass ihr Spitzenhandschuh braun vor Schmutz war. Hutch folgte ihrem Blick mit zusammengekniffenen Augen.
»Nur Bussarde, fürchte ich. Hier unten auf der Prärie gibt es nicht viele Adler. Wenn Sie hinauf in die Rockies gehen, werden Sie ein paar schöne Vögel zu sehen bekommen. Scharfe Augen haben Sie, Mrs. Massey«, sagte er. Er schaute wieder über die Ohren der Pferde hinweg nach vorn und sang leise vor sich hin: »Daisy, Daisy, give me your answer do …« Caroline ließ den Blick zum Horizont schweifen, richtete sich dann auf und deutete wieder mit dem Finger.
»Da kommt jemand!«, rief sie aufgeregt.
»Tja, wir sind nicht mehr weit entfernt von der Ranch, Ma’am. Könnte einer von unseren Reitern sein«, sagte Hutch nickend.
»Ist es Corin?«, fragte Caroline, und ihre Hände schossen hoch zu ihrem zerzausten Haar. Sie stopfte hastig die
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