Das Geheime Vermächtnis
Schultern und drücke ihn an mich, ehe er wieder entkommen kann.
Beth kocht irgendetwas zu Mittag, das nach Knoblauch duftenden Dampf im ganzen Erdgeschoss verteilt. Die Fenster sind davon beschlagen, und Regen verhüllt die Welt da draußen, sodass mir das Haus wie eine Insel vorkommt. Eddie ist mit Harry im Wald, und Klangfetzen von Sibelius’ Fünfter ziehen mit dem Dampf die Treppe herauf. Beths Lieblingssinfonie. Ich fasse es als gutes Zeichen auf, dass sie in Merediths Musiksammlung danach gesucht hat und etwas kocht, das sie vielleicht sogar essen wird. Ich frage mich, was Dinny und Honey wohl gerade tun. Bei diesem Regen, an einem so deprimierenden Tag. Keine Räume, die sie durchstreifen, keine Regale voller Bücher oder Musik, kein Fernsehen. Über ihren Lebensstil kann ich nur spekulieren. Ich an ihrer Stelle säße wahrscheinlich in der Dorfkneipe. Eine Sekunde lang denke ich daran, dort nach ihnen zu schauen, aber mein Magen rumort protestierend und erinnert mich an den Kater, den ich gerade auskuriere. Stattdessen gehe ich zur Treppe zum Dachboden.
Ich erinnere mich tatsächlich an Sergeant Hoxteths Onkel. Wir sahen ihn manchmal im Dorf, wenn wir uns Süßigkeiten oder Eis im Laden holten. Er lächelte viel. Und er kam mehr als einmal ins Haus, weil entweder Meredith oder die Dinsdales ihn gerufen hatten. Sie haben das Recht, dort zu kampieren, genau wie Dinny gesagt hat. Es gibt irgendwo sogar eine beglaubigte Urkunde, eine Ermächtigung oder Bescheinigung oder so, von meinem Urgroßvater aus der Zeit vor seiner Hochzeit mit Caroline. Er und Private Dinsdale waren zusammen bei der Armee, in Afrika, glaube ich. Die ganze Geschichte ist im Lauf der Jahre in Vergessenheit geraten, aber als sie zurückkamen, brauchte Dinsdale einen Platz zum Lagern, und Sir Henry Calcott gewährte ihm diesen. Und seinen Verwandten und Nachkommen, bis in alle Ewigkeit. Sie haben eine Abschrift von der Urkunde, und der Anwalt unserer Familie hat auch eine. Das hat Meredith immer furchtbar geärgert.
Oft sahen wir Sergeant Hoxteth in der Eingangshalle stehen, wo er unbehaglich darauf wartete, dass Meredith mit ihrem Gorgonenblick erschien. Einmal brachte sie einen der Bauern dazu, eine riesige Heuballenpresse oben am Feldweg zu parken, um die Fahrenden auszusperren. Ein andermal erfuhr sie, dass nicht alle im Lager zum Dinsdale-Clan gehörten, und wollte die Schmarotzer entfernen lassen. Dann sah sie, wie jemand Wasser aus einer Tränke schöpfte, die zum Anwesen gehörte, und wollte Anzeige erstatten. Eine Zeit lang verschwanden immer wieder Sachen aus der Speisekammer und Kleinkram aus dem ganzen Haus, und Meredith beharrte darauf, dass die Dinsdales die Diebe seien, bis sich herausstellte, dass die Haushälterin ihre arme alte Mutter damit versorgte. Als sich eines Tages ein Hund aus dem Lager in den Garten verirrte, machte Meredith ihm Beine, wie sie es nannte – mit einer 12-kalibrigen Jagdflinte. Die Leute im Dorf glaubten, es sei ein Krieg ausgebrochen. Sie würden ansteckende Krankheiten unter ihren Tieren verbreiten, war Merediths kurz angebundene Erklärung.
Wir kamen früher manchmal hierher auf den Dachboden, um in dem alten Kram herumzuwühlen. Es sah immer so aus, als würde es etwas Aufregendes zu entdecken geben, aber es dauerte nicht lange, bis uns die Umzugskisten, kaputten Lampen und Teppichstreifen langweilig wurden. Der Boiler gurgelte und zischte wie ein schlafender Drache. An einem so feuchten Tag ist es dunkel hier oben, die entfernteren Winkel des Dachbodens liegen im Schatten. Es gibt nur ein paar winzige Dachfenster, die weit auseinanderliegen und mit Wasserflecken und Algen bedeckt sind. Es ist so still, dass ich die leisen Geräusche des Hauses hören kann wie Atemzüge. Der Regen kichert melodisch in den halb verstopften Rinnen. Unwillkürlich bewege ich mich auf Zehenspitzen.
Das Leder des alten roten Schrankkoffers ist so trocken und brüchig, dass es sich wie Sand anfühlt und in kleinen Krümeln an meinen Fingern hängen bleibt. Ich schleife ihn so herum, dass das Licht aus dem nächsten Fenster darauf fällt und ich hineinschauen kann. Er lässt eine Art Gespenst seiner Umrisse im Staub auf dem Boden zurück, und ich frage mich, wann er zuletzt vom Fleck bewegt wurde. Drinnen liegen dicke Bündel Unterlagen, Schachteln, ein kleiner, ramponierter Koffer, ein paar geheimnisvolle, in vergilbtes Zei tungspapier gewickelte Gegenstände, eine lederne Schreibmappe. Das kommt mir sehr wenig
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