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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Canter Mark
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ich wähle K’un-Chien als meine Dienerin – dies ist mein Vorrecht als Bürger hohen Ranges. So will es das Protokoll. Sagt Euren Wachen, dass sie ihre Schwerter wegstecken sollen. Sie sind diejenigen, die das Protokoll verletzen.«
    Wieder versuchte Tree freizukommen, und dieses Mal ließ General Yu Lin ihre Handgelenke los. Sie grunzte einen Befehl, und die Soldatinnen schoben ihre Schwerter in die Scheiden. Doch Yu Lins kohlschwarze Augen glühten wie Jadeflammen, und Tree glaubte, in ihnen das Funkeln ihrer eigenen Augen erkennen zu können.
    Tree streckte den Arm aus und nahm K’un-Chiens Hand, und ihre langen Finger legten sich ineinander. Gemeinsam schritten sie zum Liebestempel, durch ein Tal, das bis zu seinen Rändern mit der silbrigen Milch des Mondes gefüllt war.

27
    Parfüm befeuchtete die Luft im Tempel-der-Gebetsmatte wie eine unsichtbare Flüssigkeit. Tree schmeckte den vollmundigen, süßen Moschus auf der Zunge, als sie in einen runden, mit roten Papierlaternen beleuchteten Raum trat. In der Mitte des Raumes erblickte sie den Ursprung des Duftes: eine einzelne riesige Blume, die Ähnlichkeit mit einer weißen Magnolie hatte. Tree hatte gelernt, dass die größte in der Natur wachsende Blume die einen Meter breite, vierundzwanzig Pfund schwere Rafflesia arnoldii ist. Die unbekannte Spezies, deren Duft den Tempel durchströmte, wog dagegen bestimmt an die hundert Pfund.
    Tree hielt noch immer K’un-Chiens Hand, als sie durch die nektargeschwängerte Luft zu einem niedrigen Sofa wateten, das mit vielen bunten Stickkissen beladen war. Tree starrte auf das Liebesbett, und plötzlich fühlte sie sich überwältigt, als drängten sich mehrere Versionen ihres Selbst im selben Körper.
    Das eine Selbst war die Sozialwissenschaftlerin, fasziniert von der Gelegenheit, Zeuge eines sexuellen Rituals zu werden, das jahrhundertelang im alten China praktiziert worden war. Sie kannte die Ho-Ch’i-Zeremonie aus Gesprächen mit Gib über die chinesische Geschichte und Philosophie. Wörtlich übersetzt bedeutete Ho Ch’i Vereinigung des Atems, was sich auf die kollektiven Liebesspiele bezog, die seit der Han-Dynastie von Anhängern des Taoismus praktiziert worden waren. Am Vollmondabend führten die Tänzer des Liebestempels Drachen- und Tigertänze auf, dann begannen die Teilnehmer einen die ganze Nacht andauernden Sexmarathon mit so vielen Partnern wie möglich. Doch die Ho-Ch’i-Zeremonie hatte nichts mit den Gruppensexorgien gemein, die sich, beispielsweise, jeden Frühling in Daytona Beach aus den wilden Bierpartys ergaben. Die Taoisten nahmen ihre Orgien ernst – Sex war zentraler Bestandteil ihres Mystizismus. Taoisten glaubten, sie könnten durch sexuelle Erregung und die Vereinigung von Yin und Yang neue Lebensenergie gewinnen und dadurch Erkrankungen heilen und ein langes, gesundes Leben führen – die Transzendenz des eigenen Ichs durch körperliche Ekstase. Zurzeit der Song-Dynastie hatten konfuzianische Moralisten die Ho-Ch’i-Zeremonie verboten, und die meisten schriftlichen Aufzeichnungen darüber waren vernichtet worden. Doch hier, in einer Gesellschaft, die nach einem klassischen taoistischen Sex-Handbuch benannt war – Gebetsmatte des Körpers –, war Tree sicher, Zeuge einer unverfälschten Version der Ho-Ch’i-Zeremonie zu werden.
    Tree saß unsicher auf der Sofakante und spürte, wie ein weiteres Selbst in ihr aufbegehrte: das schüchterne, verängstigte Mädchen, nervös wie eine jugendliche Jungfrau. Sie ließ K’un-Chiens warme Hand nicht los, aber ebenso wenig wagte sie, in diese blauen Augen zu schauen. Was würde hier geschehen? War sie verrückt? Konnte sie dies wirklich tun?
    Irgendwo in ihrer Psyche, verborgen zwischen der Wissenschaftlerin und der Jungfrau, erwachte ein Körperhunger, das Verlangen, jemanden zu streicheln und gestreichelt zu werden. Ihre tiefere Sexualität schlummerte seit Jahren vor sich hin und wartete darauf, eines Tages von Mason wieder entdeckt zu werden. Sie empfand eine eher emotionale denn körperliche Versuchung, sich heute Abend einfach gehen zu lassen. Hier, in völlig fremder Umgebung, wo niemand sie kannte, stand es ihr frei, Dinge zu tun, für die sie sich hinterher vor niemandem würde rechtfertigen müssen.
     K’un-Chien ließ Trees Hand los und stand auf. Tree griff nach ihrem Arm. Lass mich jetzt bitte nicht allein, ich brauche dich, wollte sie sagen. Doch sie öffnete und schloss nur den Mund, plötzlich zu verlegen, um etwas zu

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