Das Geheimnis am goldenen Fluß
abmurksen würden, wenn ich allein zurückbliebe. Schau, ich habe dir gesagt, dass ich nicht fliehen wolle …«
Mason bedachte ihn mit einem verkniffenen, schiefen Lächeln. »Deswegen hast du es ausgeplaudert. Bist zu den Wachen gerannt.«
»Wie gesagt, du solltest mir dankbar sein. Ohne mich wäre sie tot«, sagte Domino und deutete auf K’un-Chien. »Ich sah, wie du sie losgelassen hast und zu Tree rennen wolltest.«
»Und so verwandelt sich unser Verräter in unseren Wohltäter«, sagte Mason. »Was für ein Held.«
Tree kniete sich neben Mason und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Mason, beruhige dich. Er hat Recht; er hat mir das Leben gerettet.«
»Ich war auf dem Weg zu dir, Tree«, sagte Mason mit tiefer, rauer Stimme.
Sie küsste ihn sanft auf den Wangenknochen. »Ich weiß. Ich sah dich.« Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Ich weiß, dass du vor einer schrecklichen Wahl standest und dass du dich entschieden hast, mich zu retten. Gott segne dich, ich weiß, wie schmerzhaft das gewesen sein muss. Ich komme mir so dumm vor – ich werde nie wieder auf K’un-Chien eifersüchtig sein.«
Er sah sie an und lächelte schwach. »Aber jetzt müssen wir zurückgehen.«
»Gib nicht auf, Mason. Ich liebe dich –«, sie umarmte ihn, »– so sehr. Wir werden die Sache schon irgendwie durchstehen. Du wirst sehen.«
Resigniert schüttelte er den Kopf. »Du vergisst etwas. Morgen ist Vollmond – und ich habe einen Beischlaf-Termin mit der Kaiserin.« Er hockte zitternd in seinem klitschnassen T-Shirt da. »Morgen Nacht um diese Zeit …«
Er konnte es nicht laut aussprechen: An dem Tag, als sie die Kaiserin kennen gelernt hatten, hatte diese gedroht, ihn zu kastrieren, sollte er sich nicht als potenter Liebhaber erweisen. Er konnte sich nur zu gut ihr funkelndes Auge vorstellen, schwarz wie vulkanisiertes Glas, ihre entstellten Lippen, die sich hämisch hinter der grellen Maske verzogen. »Ich werde dich persönlich zum Eunuchen machen«, hatte sie geschworen.
Jetzt traf ihn ihre Drohung wie eine eisige Schwertklinge.
26
Mason saß auf dem Futon und beugte sich über K’un-Chiens liegende Gestalt. Ihre Atmung und ihr Puls waren stabil. In ihrem Arzneischrank hatte er eine Heilsalbe gefunden, die der Beschriftung nach speziell gegen Bienenstiche war. Die wachsartige grüne Substanz war hart, und er zerrieb sie zwischen den Handflächen zu einer weichen Paste. Sie verströmte einen angenehmen Duft, wie warmes Bier. Behutsam schmierte er sie auf die zehncentmünzengroßen roten Flecken auf K’un-Chiens Gesicht und Armen. Dann lehnte er sich zurück und fragte sich, welche Wirkstoffe die Arznei enthielt, und hoffte auf das Beste.
Kaum eine Stunde später war die ballonartige Schwellung in K’un-Chiens Gesicht abgeklungen, und ihre Züge offenbarten wieder ihre exotische eurasische Schönheit. Masons Neugier bezüglich der Heilsalbe schlug in völlige Verblüffung um: Als entzündungshemmendes Mittel ließ die Salbe Kortison regelrecht wirkungslos erscheinen.
Die Schwellung in K’un-Chiens Luftröhre war vollständig abgeklungen. Zufrieden, dass ihre Atmung kräftig war, zog Mason den Euphorbia-Halm heraus, der ihr als Luftschlauch gedient hatte. Sorgsam wusch und verband er die Wunde an ihrem Hals. Er war überzeugt, dass sie schnell verheilen würde. Trotzdem verabreichte er seiner Patientin vor dem Einschlafen noch eine der klebrigen schwarzen Phönixkugeln, die sie ihn am Tag seiner Ankunft hatte schlucken lassen, denn offenbar enthielten die Kugeln ein Antibiotikum. K’un-Chien hatte dies bestätigt: »Sie helfen den Palastwachen, Eindringlinge abzuwehren.«
Der Körper als Palast. Er betrachtete die sanfte Architektur ihres Gesichts. Das durch den Dunst einfallende Morgenlicht umschmeichelte ihre träumenden Augen wie die meisterhaften Pinselschwünge eines großen Künstlers.
»Ein echtes Kunstwerk, nicht wahr?«, sagte Tree leise, als sie hinter ihm ins Zimmer kam.
Er lächelte. »Du kannst meine Gedanken lesen.«
»Wird sie wieder völlig gesund?«
»O ja. Sie ist stark wie ein Pferd.«
Tree legte ihre Hände auf Masons Schultern und massierte die kräftigen Muskeln. Seufzend schloss er die Augen und lehnte seinen Kopf an ihren festen Bauch.
»Danke«, sagte er. »Das tut so gut.«
»Und wie geht es dem Arzt? Bist du okay?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich mache mir wegen heute Abend vor Angst in die Hose.«
»Nun, ich glaube, ich habe eine Lösung gefunden. Hast du dir die
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