Das Geheimnis am goldenen Fluß
und ein halbes Dutzend Soldatinnen, ihre lackierten Rüstungen matt schimmernd im Mondschein.
Yu Lin sagte im Befehlston zu Tree: »Wir sind gekommen, um deinen Mann und dich als Ehrengäste der Kaiserin zur Ho-Ch’i-Zeremonie zu eskortieren.« Sie schaute über Trees Schulter in den Palast. »Wo ist er?«
Mason wankte aus dem Schlafzimmer, sich einen Bambuseimer an die blassen Lippen haltend. Alles Blut schien aus seinem grauen Gesicht gewichen zu sein. Mit rot geränderten Augen schaute er zu General Yu Lin auf, dann erbrach er laut würgend einen grünlichen Schwall in den Eimer.
Yu Lin verzog das Gesicht und schluckte. Tree wrang ein Tuch in einer Porzellan-Wasserschüssel aus, die auf einem Waschständer stand, und presste das kühle Tuch auf Masons Stirn.
»Was fehlt ihm?«, fragte Yu Lin.
»Ich weiß nicht. Er erbricht sich seit Stunden – jetzt ist sogar Blut in seinem Erbrochenen, und er kann seinen Darm nicht mehr kontrollieren.« Sie warf das Tuch in die Schüssel und fasste sich an den Bauch. »Ich fürchte, seine Erkrankung ist ansteckend. Mir wird auch langsam schlecht.«
Beinahe unisono traten die Soldatinnen einen Schritt von der Tür zurück.
Yu Lin blickte sie finster an. »Dein Mann hat den Befehl, mit der Mutter-von-Söhnen die Bettkammer zu teilen – eine hohe Ehre. Die Kaiserin wird sein Verhalten als ungehörige Beleidigung betrachten. Ein äußerst unglücklicher Zeitpunkt, um krank zu werden.«
Tree verneigte sich mit aneinander gelegten Handflächen. »Ich bitte um Vergebung. Wie Ihr sagt, dies ist ein äußerst unglücklicher Zeitpunkt.« Sie wrang wieder das Tuch aus und wollte Masons Stirn abtupfen, doch er stieß ihren Arm zur Seite und erbrach sich lautstark in den Eimer. »Mein Mann hat sich sehr auf den heutigen Abend gefreut, aber er kann den Launen seiner Eingeweide keinen Einhalt gebieten.«
Mason hustete schwach, dann flüsterte er heiser: »Es – es tut mir so Leid. Ich – bitte um Vergebung –« Er fasste sich an den Bauch und eilte gebückt ins Schlafzimmer zurück. Sein lautes, unappetitliches Würgen hallte durch den hohen Hauptraum.
»Gibt es nichts, was K’un-Chien für ihn tun kann, kein Mittel gegen seine Übelkeit?«, fragte Yu Lin.
K’un-Chien erschien in der Schlafzimmertür. »Wären wir Doktoren doch nur die absoluten Herrscher über den Körper. Nein, ich habe bereits alles in meiner Macht Stehende versucht. Er muss sich ausruhen, sonst könnte seine Erkrankung sein ch’i überwältigen – und ihn sogar töten.«
Erneut verneigte sich Tree vor General Yu Lin. »Richtet der Kaiserin bitte aus, dass es uns zutiefst Leid tut. Unser Karma schleudert uns auf einer See voller trauriger Überraschungen herum.«
Yu Lin trat vor und packte Trees Handgelenke. »Das wirst du der Kaiserin selbst sagen. Ich sehe keinen Grund, weshalb du der Zeremonie fernbleiben solltest. Du kommst mit.« Sie zog Tree zur Tür; die anderen Soldatinnen gingen vor ihr nach draußen. Tree sah zu K’un-Chien zurück.
K’un-Chien lief ihnen nach. »Dann muss auch ich gehen und Erste Frau als deren Dienerin begleiten.«
Yu Lin schnaubte. »Ha. Du bist nicht eingeladen. Du wurdest nie zu einem Ho Ch’i eingeladen, und das wirst du auch nie.«
Tree versuchte, sich von Yu Lin loszureißen, doch es gelang ihr nicht.
»Wartet«, sagte K’un-Chien. »Traditionsgemäß müssen Frauen der Oberklasse eine Dienerin zur Zeremonie mitbringen, um ihre prominente Stellung zu demonstrieren.«
»Wir werden eine Dienerin für sie finden«, sagte Yu Lin und begann, Tree durch die runde Tür zu zerren.
»Nein«, sagte K’un-Chien und schob sich vor Yu Lin, um ihr den Weg zu versperren. »Ich bin ihre rechtmäßige Dienerin. Ich bin die Zweite Frau.«
Sie standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Yu Lin war kleiner als K’un-Chien, aber kräftiger gebaut. Die Atmung des Generals war unregelmäßig, und ihr Gesicht und ihre Augen verdüsterten sich. Die Soldatinnen fuhren herum und zückten mit einem metallischen jang ihre Schwerter.
»Du widersetzt dich mir?«, spie Yu Lin aus. »Du widerwärtiger Abschaum, du stinkende Kanalratte! Mit welchem Recht wagst du es, mir zu sagen, was ich zu tun habe? Ich sollte dich auf der Stelle erschlagen!«
»Ich bin diejenige, die sich Euch widersetzt«, sagte Tree und spürte das Blut in ihren Schläfen pochen. »Mit demselben Recht, aufgrund dessen ich mich Euch das erste Mal widersetzte: Auch ich bin eine Mutter-von-Söhnen. Und
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