Das Geheimnis am goldenen Fluß
letztendlich hatte Mason genauso viele angeschlagene Spieler verarzten müssen wie davor.
»Zeig es mir noch mal«, sagte Meng Po. »Triff den Helm der Wache dort.« Kichernd deutete er auf eine der Frauen. »Ihr Name ist Pa Kwo. Sie besitzt die beneidenswerte Eigenschaft, im Stehen schlafen zu können, indem sie sich auf ihre Lanze stützt. Siehst du? Ich sehe an ihrer gleichmäßigen Atmung, dass sie gerade ein Nickerchen hält.«
»Es wäre nicht schwierig, ihren Helm zu treffen, aber ich möchte nicht, dass sie ihr Gesicht verliert. Ich könnte mir einen Feind machen, und davon habe ich bereits genug.«
»Du bist weise, wenngleich Pa Kwo die netteste meiner Wachen ist. Sie hat keine gemeine Ader wie General Yu und einige andere. Sie erzählt mir lustige Geschichten und denkt sich alles Mögliche aus, damit ich mich – damit wir beide – uns nicht so sehr langweilen und im Stehen einschlafen. Tatsächlich war sie diejenige, die mir die Frisbees brachte.«
»Ich bin froh, dass sie sie nicht für sich behielt, um sie als Teller zu verwenden.«
»Nun, ehrlich gesagt, hat sie einige zu diesem Zweck behalten.« Meng Po lachte. »Ich aß auch schon aus ihnen.« Er drehte sich um und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Ich hab’s. Triff den Storch auf dem Bild dort an der Wand. Schaffst du das? Den fetten, der auf der linken Seite fliegt.«
»Ich glaube schon. Aber ich möchte dein Bild nicht beschädigen. Ich finde es wunderschön. Es ist so – naiv und unschuldig. Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch, wenn ich sage, dass es primitiv ist – genau darin liegt seine Schönheit.«
»Ich weiß, was du meinst – ich mag es aus genau demselben Grund. Aber es ist nicht von mir.«
»Von wem dann? K’un-Chien?«
Kiki sprang auf, rannte zu dem Bild und hüpfte davor auf und ab.
»Kiki beantwortet deine Frage.«
»Was?« Masons Augen weiteten sich. »Jetzt bist du derjenige, der scherzt.«
Grinsend schüttelte Meng Po den Kopf. »Es ist von Kiki.«
Mason war baff. »Unmöglich«, sagte er.
»Oh, doch. Kiki ist ein guter Maler.«
»Wie …? Wie intelligent ist er?«
Kiki kam herbeigerannt und sprang auf Meng Pos Schoß; der Junge küsste den bauschigen weißen Bart des Weisheitsaffen. »Der kleine Mann kann praktisch alles, wenn man seinen Bauch krault oder ihm einen Glückskeks schenkt. Kürzlich brachte ich ihm bei, seinen Namen zu schreiben.«
»Oh, bitte. Das muss ich mit eigenen Augen sehen.«
»Kiki, hol deinen Pinsel«, sagte Meng Po. Der zimtpelzige Primat öffnete ein schmales Holzkästchen und nahm einen Kalligraphiepinsel heraus, der aus lackiertem Kirschholz und einer spitz zulaufenden Menschenhaarborste gefertigt war.
»Ich rühre ihm Tinte an«, sagte Meng Po. »Bei ihm verkleckert immer die Hälfte.« Der Junge hob die Abdeckung von seinem Tintenstein und träufelte etwas Wasser hinein. Dann rieb er den schwarzen Tintenstab in der feuchten Mulde und gab eine Prise Zinnoberpulver hinzu; die Tinte verfärbte sich zu einem dunklen Scharlachrot. Als Nächstes rollte er eine leere Leinenpapier-Schriftrolle schulterbreit aus und hockte sich davor.
»Kiki, hier ist deine Tinte«, sagte Meng Po. »Setz dich zu nur und schreib deinen Namen.«
Der Weisheitsaffe nahm seinen Pinsel und tauchte ihn in die scharlachrote Tinte. Mit flinken Handbewegungen malte er mehrere breite Striche, die wie Schwalben über das Papier zu fliegen schienen. Als Letztes ließ er vier runde Kleckse auf die Kalligraphie tropfen.
Meng Po lachte. »Das tut er immer am Ende. Ich versuchte, es ihm abzugewöhnen, aber mittlerweile glaube ich, dass dies seine persönliche Signatur ist – er mag es so.«
»Da steht« – Mason neigte den Kopf nach links – »Kiki, der Weisheitsaffe?«
»Ja. Alle seine Buchstaben neigen nach links. Das liegt daran, wie er den Pinsel hält.«
»Ich bin zutiefst erstaunt. Er ist völlig anders als alle Tiere, die die Wissenschaftler aus meiner Welt kennen – oder von denen sie überhaupt zu träumen wagen. Kiki ist eine Klasse für sich.« Mason überlegte einen Moment. »Vielleicht sollte ich besser sagen, wir Menschen sind keine Klasse für uns. Ich glaube, das ist es, was mich so schockiert. Alles, was ich auf dem College gelernt habe, war falsch. Wir Menschen sind nicht allein.«
»Ich bin nie allein, wenn mein Freund Kiki hier ist.«
Kiki hüpfte herum, nahm Masons Hand und sah sie fragend an. Sie war leer.
»Er möchte eine Belohnung von dir«, sagte Meng Po.
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