Das Geheimnis am goldenen Fluß
Bruchstelle zu stecken. Er begann zu verstehen, wovon sie sprach. Er hatte sich gerade dabei ertappt, wie er es machte. Sobald Schmerz in ihm aufwallte, stemmte er sich gegen den Schutzdamm, indem er seine Muskeln verkrampfte; sein Unterkiefer, seine Brust, sein Bauch; er blockierte den Energiefluss in dem engen Kasten aus Fleisch, der sein Körper war. Und er hörte auf zu atmen, um die in ihm wogenden Wellen zu glätten, um die Bewegung und die Emotion und das Leben zum Stillstand zu bringen. Kein Rhythmus, kein Fluss, keine Gefühle.
»Ich glaube, ich verkrampfe meine Muskeln und blockiere den – ehm, ich wollte sagen, Energiefluss.«
»Genau. Energie. Das ist es, was Gefühle sind – Energie, Lebenskraft. Und sie fließt.«
»Stimmt. Und ich halte die Luft an. Das stoppt den Energiefluss.« Er seufzte. »Macht Sinn. Deswegen erlebe ich nicht mehr die Höhen und Tiefen, die ich empfand, als ich jünger war.« Er lächelte sie schief an. »Ich war ein leidenschaftlicher Mann: Poet, Liebhaber, Idealist – all der oberflächliche Unsinn. Das Leben ist flach geworden für mich.«
»Das Tao des Körpers und des Geistes beinhaltet folgendes simple Prinzip: Wenn wir uns für Leid unempfindsam machen, machen wir uns zugleich unempfindsam für das Schöne. Wenn wir Freude empfinden möchten, müssen wir auch für Leid offen sein.«
»Es gibt nur zwei Einstellungen, was? Offen oder verschlossen. Ich weiß, dass du Recht hast, aber wie sehr wünschte ich, dass es nicht so wäre.«
»Was würde geschehen, wenn du deine Gefühle herausließest? Wenn sie sich ungehindert entfalten könnten – ohne dass du sie in deiner Brust gefangen hältst?«
»Nein. Das könnte ich nicht.« Mason fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Das würde … Ich kann das nicht tun.« Er schauderte. »Es würde mich zerstören.«
»Und zu welchem Preis unterdrückst du deine Gefühle? Du bist unfähig, mit dem Menschen zu schlafen, der dir von allen auf der Welt am meisten bedeutet. Du sagst, deine Gefühle herauszulassen würde dich zerstören – aber wer hat überlebt?«
»Eine Wachsfigur von Mason Drake.« Traurigkeit überkam ihn, und automatisch zog er Brust und Kehle zusammen, um das Gefühl in sich einzuschließen. »Seit Vietnam fühle ich mich, als wäre der größte Teil von mir gestorben.«
K’un-Chien legte einen kräftigen schlanken Arm um seine breiten Schultern. »Kennst du das chinesische Sprichwort: ›Wir lernen, indem wir lehren‹?«
»›Homines dum docent discunt – Durch Lehren lernen die Menschen.‹ Seneca, der römische Philosoph.«
Sie nickte. »Was ich zu sagen versuche, ist Folgendes: Anscheinend bin ich geschaffen dafür, mir deine Probleme anzuhören, denn sie sind dieselben wie meine. Auch ich bin geübt darin, meine Gefühle zu unterdrücken, und ich tue es auf dieselbe Art wie du – indem ich zu atmen aufhöre und meinen ganzen Körper verkrampfe. Mich in mir selbst einhöhle.« Sie klapste ihn auf die Schulter. »Ich möchte nicht, dass du glaubst, nur dir ginge es so, Ehemann.«
»Verstehe. Und ich danke dir für die Erkenntnisse, die ich durch dich gewonnen habe. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ich mich vor meinem Schmerz zu sehr fürchte, als dass ich ihn herauslassen könnte. Ich glaube, es würde mich töten.«
»Wir beide haben uns getötet, um unserem Schmerz zu entfliehen. Ich war mir darüber bis gestern Nacht nicht im Klaren. Ich konnte nicht einschlafen, weil ich mich die ganze Zeit fragte, was ich mit dieser neuen Wahrheit anfangen soll.«
Mason nickte. »Ich werde dir gerne zuhören, wenn du darüber reden möchtest. Meng Po hat mir erzählt, wie deine Brüder umkamen.«
»Das wäre schon Leid genug gewesen, aber da ist noch mehr, was mir zu schaffen macht.«
»Würde es helfen, es mit mir zu teilen? Was hat dich so verletzt?«
Sie lächelte schief. »Wenn ich mich dem Mann, den ich liebe, offenbaren könnte, wäre ich dann nicht geheilt?«
Masons Herz setzte einen Schlag aus. »Ich … Ich liebe dich auch, K’un-Chien. Und ich freue mich für dich und Tree.«
K’un-Chien schüttelte den Kopf. »Du kennst meine Situation nicht. Tree auch nicht.« Tränen ließen das Blau ihrer Augen heller schimmern. »Ich würde dir und Tree so gerne helfen, wieder zusammenzukommen. Eure Liebe ist vorherbestimmt.«
Mason verzog die Lippen. »Sie ist ohne mich besser dran. Ich würde sie unglücklich machen. In meiner Vergangenheit ist etwas geschehen, in einem weit von zu
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