Das Geheimnis der 100 Pforten
hörte leise Bäume seufzen, er hörte sie knarren, irgendwo hinter seinem Bett. Als er ins Zimmer trat, sah er vorsichtig nach links und rechts, dann machte er einen weiteren Schritt und trat in eine Pfütze mit eiskaltem Wasser. Er sprang zurück, tastete sich zu seinem Licht und knipste es an.
Das Fußende seines Bettes, unter der offen stehenden Tür, war völlig durchweicht. Eine riesige Pfütze breitete sich auf dem Boden aus. Sie reichte fast bis zur Schwelle und erstreckte sich über die gesamte rechte Seite seines
Zimmers. Die Tür des Fachs schwang leise vor und zurück, und alle darunter liegenden Türen, ebenso wie der Putz, trieften. Henry kniete sich auf sein Bett, spürte die Matratze unter seinen Knien schmatzen und sah in das Fach hinein. Sehen konnte er nichts. Aber feuchte Erde konnte er riechen und dickes, fettes Moos. Er hörte, wie sich Blätter im Schlaf wiegten. Er schloss die Tür, legte den Riegel vor und suchte sich eine trockene Stelle auf seinem Bett. An der feuchten Stelle der Jeans über seinem Knie zupfend, betrachtete er das Wasser auf seinem Fußboden. Drei Regenwürmer, groß und aufgequollen, lagen in der Pfütze.
»Würmer!«, sagte Henry laut. Würmer in einer Pfütze auf einem Dachboden!
Dotty und Frank standen in der Küche und tranken Sonnentee. Die Mädchen sahen sich irgendwas im Fernsehen an.
»Was hat Billy denn gesagt?«, fragte Dotty.
»Was meinst du damit?«, entgegnete Frank. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn nicht fragen will.«
»Hast du aber doch getan.« Dotty grinste. Sie strich sich das Haar zurück und trank einen Schluck. Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke, Frank, dass du ihn angesprochen hast. Ich weiß, dass du deinen Stolz hast.«
»Mein Stolz ist, dass ich es genauso gut hätte lassen können«, knurrte Frank. »Er hat sie auch nicht aufbekommen. Was beweist, dass ich ihn gar nicht gebraucht hätte.« Er stellte seinen Tee ab. »Ich gucke ein bisschen fern mit den Mädchen.«
Anastasia und Penelope saßen auf dem Boden vor dem Fernseher. Frank ließ sich neben ihnen nieder.
»Henrietta ist mit Henry nach oben gegangen«, sagte Anastasia. »Sie hat gesagt, wir dürften nicht mitkommen.«
»Wolltet ihr denn mit?«, erkundigte sich Frank.
»Ja«, sagte Anastasia.
»Nein«, sagte Penelope. »So besonders gut kann man mit Henry nicht spielen. Henrietta ist nur nett zu ihm.«
»Ich glaube, sie haben ein Geheimnis«, sagte Anastasia.
»Das macht man nicht - anderer Leute Geheimnis auszuspionieren«, sagte Penelope.
»Geheimnisse sind dazu da, dass man sie lüftet. Dad, glaubst du, dass sie ein Geheimnis haben?«
»Warum fragst du sie nicht selbst?«, erwiderte Frank.
Anastasia war begeistert. »Darf ich das? Und müssen sie mir antworten?«
»Nein«, antwortete Frank. »Nein, sie müssen dir nicht antworten.«
»Kann ich sie jetzt gleich fragen?«
»Natürlich. Penny und ich gucken so lange weiter für dich fern. Nicht wahr, Pen?«
Penelope biss sich auf die Lippen, während Anastasia zur Treppe rannte.
Dort blieb sie stehen und lauschte. Um jemanden nach seinem Geheimnis zu fragen, musste man zunächst so viel wie möglich ausspionieren. Seit Tagen hatte sie schon spionieren wollen. Sie hatte Henrietta folgen wollen, als sie sich in der vergangenen Nacht aus dem Bett gestohlen hatte. Aber Penelope hatte sie nicht gelassen. Sie hatte in Henrys Zimmer spionieren und seine Schubladen durchwühlen wollen, aber Penelope hatte es nicht erlaubt. Penelope fand es schöner, wenn die Leute von sich aus etwas erzählten. Anastasia fand es besser, wenn man herausfand, was sie einem nicht erzählen wollten.
Sie konnte Henriettas Stimme hören, verstand aber nicht, was sie sagte. Und sie konnte hören, wie etwas schwer auf dem Boden schwappte. Außerdem konnte sie hören, wie Klebstreifen abgerollt und über die Zähne des Plastik-Abrollers gezogen wurde. Sie stellte sich breitbeinig hin, setzte ihre Hände ein paar Stufen weiter hinauf und begann, auf allen vieren nach oben zu klettern.
»Was meinst du denn, wie sich der Riegel gelöst haben könnte?«, hörte sie Henrietta fragen. »Ich habe doch gesehen, wie du ihn geschlossen hast. Ich weiß, dass du es nicht vergessen hast.«
»Keine Ahnung«, meinte Henry.
»Das ist echt viel Wasser. Du wirst dich heute Nacht an das trockene Ende deines Bettes ringeln müssen.«
»Ja«, sagte Henry. »Ich weiß aber noch nicht, ob ich schlafen kann. Ich habe so viel Limo
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