Das Geheimnis der 100 Pforten
langte in die dunkle Öffnung.
Henry übergab sich auf den Boden neben den Fächern. Dann wurde er ohnmächtig.
Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich bedeutend besser. Henrietta saß auf dem Bett und hielt seine Hand.
»Geht es dir jetzt besser?«, fragte sie. »Du hast auf den Boden gekotzt. Ich habe ein altes Handtuch darübergelegt. Du kannst es später sauber machen.«
»Ich mag dieses Fach nicht«, sagte Henry. Er lag zwischen seinem Bett und der Wand mit den Fächern und wollte gar nicht versuchen, sich aufzusetzen. »Mir ist schlecht geworden davon. War ich ohnmächtig?«
»Ja. Aber du hast noch geatmet. Darum habe ich mir keine Sorgen gemacht. Anastasia hat früher immer die Luft angehalten, bis sie ohnmächtig geworden ist.«
»Hast du das Fach zugemacht?«
»Ja. Ich glaube aber nicht, dass es an dem Fach lag. Mir gefällt es immer noch. Guck mal, was darinlag.« Sie hielt einen Schlüssel in die Höhe. Er war viel größer als der erste und auch älter; ein Bartschlüssel. »Vielleicht ist das der Schlüssel zu Großvaters Zimmer. Dad hat noch mehr solche Schlüssel, die sehen genauso aus. Ich habe gewartet, bis du aufwachst, um ihn auszuprobieren.«
Henry rappelte sich hoch. Ein räudiges grünes Handtuch lag zu seinen Füßen zusammengeknüllt. »Aber wie sollte Großvaters Schlüssel denn da hingekommen sein?«, fragte er. »Die Türen sind doch vor ganz langer
Zeit überputzt worden. Du könntest dich doch daran erinnern, wenn es nur zwei Jahre her wäre.«
»Vielleicht gibt es ja mehr als zwei Schlüssel. Und außerdem sind es magische Fächer. Wenn du schon das Gesicht eines Postangestellten in deiner Wand gesehen hast, finde ich einen Schlüssel nicht mehr groß der Rede wert.«
»Ich glaube nicht, dass man Großvaters Tür mit einem Schlüssel öffnen kann. Da ist etwas anderes, das sie verschlossen hält.«
»Gut, aber versuchen können wir es.« Henrietta stand auf. Henry erhob sich ebenfalls und überlegte, ob ihm wohl wieder schlecht werden würde. Er sah auf das Handtuch.
»Es ist nur ein bisschen Kodder und mit dem Handtuch stinkt es nicht so«, sagte Henrietta. »Jetzt komm.«
Zusammen schoben sie das Bett zur Seite, dann liefen sie die Treppe hinunter und zum Flur im ersten Stock. Sie machten einen Schritt über das Loch im Boden und den in Streifen geschnittenen Teppich und standen dann vor der alten und mittlerweile ziemlich ramponierten Tür.
»Mach du«, sagte Henrietta und hielt Henry den Schlüssel hin.
»Du hast ihn doch gefunden«, sagte Henry.
»Ja, aber ich will, dass du es versuchst.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Ich habe das Gefühl, du solltest es machen.«
Henry nahm den Schlüssel und betrachtete das Loch im Holz, das früher einmal durch einen Messingbeschlag geschützt gewesen war. Er steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn um. Der Schlüssel fasste und dann klickte es. Henry trat einen Schritt zurück.
»Es gibt keine Klinke mehr«, sagte er.
»Drück einfach.«
Henry hob die Hand und legte sie auf das zerhackte Türblatt. Er drückte. Ohne einen Laut von sich zu geben, schwang die Tür weit auf.
»Ach, du liebe Zeit!«, meinte Henrietta.
Dann blickten die beiden vorsichtig ins Zimmer hinein.
Das große Bett war gemacht. Auf dem Nachttisch tickte eine Uhr neben einem Buch, das mit den aufgeschlagenen Seiten nach unten lag, als wolle jemand gleich weiterlesen. Dahinter stand eine Glasvase mit frischen Blumen. Ein Fenster war offen und der Vorhang wehte geisterhaft im sanften Luftzug.
»Sind die künstlich?«, fragte Henrietta.
»Was?«
Henrietta streckte den Finger aus. »Die Blumen. In der Vase neben dem Bett.«
»Sieht nicht so aus. In der Vase ist Wasser.« Henry trat einen Schritt nach vorn.
»Geh nicht hinein«, sagte Henrietta.
»Warum nicht?«
»Hier dürften keine Blumen stehen. Großvater ist vor zwei Jahren gestorben und die Tür war die ganze Zeit abgeschlossen. Hier dürften keine Blumen stehen! Und guck mal, das Fenster ist offen. Dabei kann es eigentlich gar nicht offen sein. Von außen ist es immer geschlossen.«
Henry sah im Zimmer umher. »Die Blumen haben ein paar braune Flecken.«
»Aber sie sind nicht trocken. Und es gibt auch keinen Staub.« Henrietta beugte sich im Türrahmen ein wenig vor und zog nervös an ihrem Pferdeschwanz. »Großvater?«, rief sie fragend. »Bist du hier?« Sie trat wieder zurück auf den Flur.
»Ich finde, wir sollten hineingehen«, sagte Henry.
Henrietta
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