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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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mich auf mein Pferd zu setzen und nach Italien zu reiten. Es wird Zeit, dass jemand dem Kaiser die Augen öffnet.«
    Sigena sog die Luft geräuschvoll zwischen den Zähnen ein. »Das würde ich nicht tun.«
    »Warum nicht?«
    »Weil Konrad sofort Verdacht schöpft, sobald Ihr eine solche Reise außer der Reihe unternehmt«, erklärte Judith. Auf keinen Fall wollte sie, dass Ludwig und Beringar allein auf Lare zurückblieben.
    »Das ist noch nicht alles«, sagte Sigena. »Hast du dich nie gefragt, welch eigentümlichen Status Konrad innehat? Er ist ein Bischof ohne Kirche. Seine einzige Aufgabe besteht darin, für das seelische Wohl der Königin zu sorgen. Kommt dir das nicht merkwürdig vor?« Sie sah ihren Bruder eindringlich an und fuhr fort: »Was ist, wenn der Kaiser tatsächlich keine Kinder zeugen kann und wenn er das weiß? Was, wenn Konrad der Königin mit Friedrichs stillschweigendem Einverständnis beiwohnt? Noch schlimmer, wenn er den ausdrücklichen Befehl dazu bekam?«
    »Gütiger Jesus!«, stammelte Judith.
    Graf Ludwig keuchte. »Beim Sohn des Teufels!«, würgte er hervor. Er schien an seinem eigenen Fluch zu ersticken.
    »Es ist nur ein Gedanke. Wenn er der Wahrheit entspricht, wirst du nicht lebend von dieser Reise zurückkehren.« Sigena hob beide Hände. »Wie ich schon sagte, nur Ahnungslosigkeit kann uns schützen. Alles andere wird uns umbringen.«

 
     
    Dû bist mîn, ich bin dîn:
    des solt dû gewis sîn.
    Dû bist beslozzen
    in mînem Herzen:
    verlorn ist das slüzzelîn:
    dû muost immer drinne sîn.
     
    Du bist mein, ich bin dein:
    des sollst du gewiss sein.
    Du bist eingeschlossen
    in meinem Herzen:
    verloren ist das Schlüsselchen.
    Du musst immer drinnen bleiben.
     
    Unbekannter Dichter

[home]
    Cyriakusstift Eschwege, März anno 1161
    »Heute fand ich im Garten hinter der Stiftskirche die ersten Märzenbecher. Sonnenhungrig reckten sich die schmalen Blätter aus der dünnen Schneeschicht gen Himmel. Die weißen Glöckchen werden sich spätestens morgen öffnen. Die Erde duftete nach Frühling, die noch wintermüden Kräuter schienen nach mir zu rufen. Der Salbei ist erfroren, von der Minze stehen nur einige kahle Stöckchen. Dabei hatte ich den Gärtner angewiesen, alles gut mit Reisig abzudecken. Nun kann ich die Zeit kaum erwarten, dass ich die frischen Triebe von Lauch und Thymian unter meinen Fingern spüre. Auf keinen Fall darf ich die Huflattichblüte versäumen. Der Vorrat ist in den letzten Monaten stark geschrumpft, ich muss dringend für Nachschub sorgen. Die ehrwürdige Mutter hatte mir im Herbst die Aufsicht über den Kräuterschrank zunächst nur sehr widerwillig überlassen. Woher sollte sie auch wissen, wie gut ich mich mit Heilpflanzen auskenne? Erst nachdem ich ihren hartnäckigen Husten gelindert hatte, gab sie ihr Einverständnis. Im Verlaufe des langen Winters konnte ich beweisen, dass ich dieses Vertrauens würdig bin, was bei der Vielzahl an Blasenerkrankungen, Halsentzündungen und landläufigen Erkältungen unter den Schwestern nicht schwierig war. Die Anerkennung der älteren Damen sicherte ich mir mit den Aufgüssen des Bienenauges gegen ihre Gliederschmerzen.
    Dem alten Kater Petrus musste ich heute das Bein schienen. Er war wohl in eine Rattenfalle geraten. Die kleine Gudrun hat mir geholfen und das ängstliche Tier festgehalten. Während der ganzen Zeit musste ich daran denken, wie ich mit Silas gemeinsam das Bein meines Bruders gerichtet habe. Gudrun hat mich ganz verwundert angeschaut, als sie meine Tränen sah. Sie dachte wohl, ich hätte zu viel Mitleid mit dem Tier. Ich habe sie in dem Glauben gelassen, denn wie könnte sie verstehen, was ich vermisse?«
    Als die Glocke zur Non läutete, atmete Judith erleichtert auf. Die zwölf Novizinnen blickten sie erwartungsvoll an. »Ihr könnt jetzt zum Gebet gehen«, entließ sie ihre Schülerinnen mit einem Kopfnicken. Sie lehrte sie die französische Sprache, seitdem die alte Lehrerin Schwester Jeanne letzte Woche tot in ihrer Zelle gefunden worden war.
    »Schwester Judith, habt Ihr mir nicht erzählt, Ihr seid gemeinsam mit Königin Beatrix im Französischen unterrichtet worden?«, hatte die Äbtissin sie nach der Laudes an diesem traurigen Morgen gefragt.
    »Ja, ehrwürdige Mutter.«
    »Dann werdet Ihr den Unterricht von Schwester Jeanne übernehmen.«
    Widerspruch war zwecklos, das hatte sie in dem halben Jahr, das sie hier verbracht hatte, schmerzhaft gelernt. »Ja, ehrwürdige Mutter.«
    Die Oberin

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