Das Geheimnis der Äbtissin
Euch lieber fern von ihm.«
»Dabei schwört der Kaiser doch auf seine Dienste, oder nicht?« Ihre Entgegnung klang ungewollt scharf.
»Ja, doch das geht mich wohl nichts an.« Er schwieg verstimmt.
Sie wandte sich zum Gehen, als ihr die Baustelle wieder ins Auge fiel. »Da Ihr Euch so gut auskennt«, fragte sie versöhnlicher, »was bauen die Städter dort drüben auf dem Hügel?«
Er knurrte, nur halb versöhnt, doch sein Mitteilungsbedürfnis siegte: »Das sind die Mauern des Jakobsbergklosters. Es wurde von unserem Kaiser geschleift, nachdem die Mainzer Bürger dort vor über zwanzig Jahren den Erzbischof Arnold erschlagen hatten. Jetzt, wo sie ihre Stadtmauern wieder errichtet haben, fangen sie mit dem Aufbau des Klosters an.«
»Ich danke Euch, Ritter. Ihr habt mir sehr geholfen.« Sie nickte ihm nachdrücklich zu und machte sich auf den Rückweg. Kein Wunder, dass die Mainzer sich alle erdenkliche Mühe gaben, das Hoffest auszurichten. Friedrich hatte ihnen allzu deutlich gezeigt, wozu er imstande war, wenn er in Wut geriet.
Wenigstens wusste sie, wo sie nach den Koppeln suchen musste. In der Zeltstadt wurde ausgiebig gefeiert. Musikanten spielten zum Tanz, ein Jongleur hielt vor den staunenden Augen der Leute ein halbes Dutzend brennender Fackeln in der Luft, und eine Gruppe von Artisten lief auf Händen über Baumstämme. Ein grauhaariger Messerwerfer bewies seine Kunst vor einem großen Brett, an dem eine hochgewachsene Frau unverdrossen lächelte, während links und rechts von ihr die scharfen Klingen vibrierend stecken blieben. Judith stockte der Schritt. Die Frau war nicht mehr jung, aber noch immer schön. Kein Zweifel, es war Hanima, die auf Lare aus ihrer Hand gelesen hatte an jenem schrecklichen Abend, an dem Isabella starb. Unter dem Applaus der Menge löste sich die Frau gewandt aus ihrem stählernen Kranz und verbeugte sich lachend, wobei sie auf ihren Mann zeigte, der seinen Hut herumreichte. Judith ging auf sie zu.
»Hanima? Erinnerst du dich an mich?«
Die Frau kniff die Augen zusammen und nickte langsam. »Thüringen, eine hohe Frau, am Fuße der dunklen Berge … wartet!« Sie überlegte angestrengt, und ihr Blick wurde dunkel. »Lare! Ihr seid Judith von Lare!«
»Du hast ein erstaunliches Gedächtnis, es sind viele Jahre vergangen seit damals.«
Die Frau sah sie abwartend an.
»Was ist aus deinen Zwillingen geworden?«
Hanima lächelte. »Ihr erinnert Euch auch gut. Sie treten beim Abendessen vor dem Kaiser auf. Allerdings – niemand darf wissen, dass es zwei sind.«
»Ich werde nichts verraten«, versprach Judith. Sie zögerte. »Sagst du noch immer wahr?«
»Warum?«
Ohne Worte streckte sie ihre Hand aus.
Hanima runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Euer Schicksal hat sich nicht geändert, ich würde Euch nur wieder dasselbe sagen. Behaltet Eure Groschen!«
Ihr Mann hatte inzwischen die Messer aus dem Brett gezogen und trug sie wie einen eisernen Blumenstrauß vor sich. Er sah abwartend zu ihr hinüber.
»Ich muss weitermachen.«
Die Füße taten ihr weh, als schließlich kleiner und schäbiger werdende Zelte das Ende des Lagers ankündigten. Hier hatten die weniger betuchten Gäste ihre Unterkunft gefunden sowie Händler, Spielleute und Hübschlerinnen, deren Beutel sich an diesem Wochenende anständig füllen würden.
Mit gesenktem Kopf eilte sie über schmale Pfade zwischen Zelten, Leiterwagen und Kochfeuern. Endlich hörte sie Pferde wiehern. Ein stabiler Zaun aus rohen Holzstangen beendete ihren Weg. Längs eines Uferwäldchens aus silbern glänzenden Erlen war eine sattgrüne Wiese eingezäunt worden. Hier graste eine größere Anzahl Turnierpferde, deren Widerrist mit Sicherheit in Scheitelhöhe eines Ritters lag. Etliche Knappen und Knechte sowie einige vornehm gekleidete Männer standen abseits um einen mehlgrauen Hengst herum und diskutierten eifrig. Sie ging außen am Zaun entlang, denn einem ausgebildeten Schlachtross wollte sie nicht vor die Hufe kommen.
»Mit diesem Huf wird er nicht mal an der Buhurt teilnehmen können, geschweige denn am Turnier«, hörte sie einen Mann sagen, der gerade mit den Fingerknöcheln den Vorderhuf abklopfte. Stolz erkannte sie das Lare’sche Brandzeichen auf der breiten grauen Kruppe des Tiers.
»Dann lasst euch was einfallen. Eher schließt der Teufel die Hölle, bevor ich einen anderen Hengst reite!«
Judith blieb überrascht stehen. Es war der Kaiser, der mit einer Stimme sprach, die keinen Widerspruch
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