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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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den Mann direkt.
    Er verbeugte sich, nachdem er sie kurz gemustert hatte.
    »Hühner, ehrwürdige Schwester!«
    Sie glaubte sich verhört zu haben. »Hühner?«
    »Ja. In diesen beiden Ställen …«, er deutete mit der freien Hand auf ein gleichartiges Haus auf der anderen Seite der Straße, »… hocken an die hundert Schock Hühner auf den Stangen. Die hohen Herren verdrücken jede Menge Eier. Wohl werden auch Tiere geschlachtet, um sie zu braten.«
    Sie verbarg ihre Überraschung und nickte. Der Geruch kam also vom Hühnermist. Jetzt hörte sie das unterdrückte Glucksen der schlafenden Hennen. Offenbar traute der Hofmeister des Kaisers den Mainzer Bürgern nicht recht und hatte die Versorgung der Gäste selbst in die Hand genommen. Andererseits war es auch von einer großen Stadt wie Mainz samt ihren umliegenden Dörfern kaum zu schaffen, eine solch gewaltige Menschenmenge zu verköstigen.
    An viel Ruhe war in dieser Nacht nicht zu denken. Judith, an die stillen Nachtstunden des Klosters gewöhnt, schreckte bei jedem Anschwellen der permanenten Geräusche des nächtlichen Lagers auf. Wehmütig erinnerte sie sich an die Monate im Feldlager vor Crema. Doch damals war sie meist erschöpft in einen tiefen Schlaf gesunken. Heute lauschte sie auf das Murmeln der Wachen an den knisternden Feuern, auf das Lallen der Betrunkenen, die nach ihrem Zelt suchten, und auf das Kläffen der Hunde, die sich um die Reste des halben Ochsen balgten.
    Als die erste Dämmerung den flackernden Schein der Flammen auf der Zeltwand schwächte, verrichtete sie ihr Morgengebet und kleidete sich an. Auch das Lager erwachte zu frühem Leben. Knechte brachten Kochfeuer in Gang, Mägde schleppten Wasser vom Fluss herauf. Die Knappen waren unterwegs zu den Koppeln, die wertvollen Schlachtrösser der Ritter mussten getränkt, gestriegelt und trainiert werden. Die anstehenden Wettkämpfe und Turniere verlangten gut vorbereitete Tiere.
    Am Vormittag rief die kleine Glocke zum Gottesdienst, in dessen Verlauf der Kaiser und die Kaiserin symbolisch noch einmal gekrönt und gesegnet wurden. Nach der Geburt der beiden ältesten Söhne hatte Friedrich Beatrix in Rom zur Kaiserin krönen lassen. Seitdem waren siebzehn Jahre vergangen. Nun sollte die feierliche Zeremonie für das Kaiserpaar wiederholt werden, wenn auch ohne die Gegenwart des Heiligen Vaters. Die hölzerne Kapelle fasste nur die engsten Vertrauten des Kaisers, die übrigen Gäste lauschten vom zentralen Platz aus der Liturgie. Bis weit in die Zeltstraßen hinein standen die Menschen in andächtigem Schweigen, unmöglich, alle zu überblicken oder gar ihre genaue Zahl abzuschätzen. Als der Erzbischof den Großen Lobgesang anstimmte, fielen sie nach und nach ein, der Choral breitete sich über das Lager aus wie Wellen um einen Stein, der ins Wasser fällt, und schwoll an zu einer mächtigen Woge, die gewiss bis nach Mainz hinein zu hören war.
    Anschließend zogen die Gäste in einem feierlichen Umzug durch die Stadt. Die Sonne strahlte vom Himmel, als wüsste sie um die Bedeutung dieses Festes. Judith, die in Begleitung der Witwe von Rothenburg einen Platz an der Hauptstraße gefunden hatte, hörte zunächst nur Musik, die die Umstehenden klatschen und tanzen ließ. Dann sah sie die Trompeter, die an der Spitze des Zuges marschierten. Ihnen folgten die Trommeln und Sackpfeifen und zuletzt, in unmittelbarer Nähe des Kaiserpaares, die Streicher mit ihren Fideln, Rotten und Geigen. Vor dem Herrscherpaar ritt der Graf von Hennegau, der mit stolzer Miene das kaiserliche Schwert wie eine Trophäe vor sich hielt. Dahinter erschienen Friedrich und Beatrix auf prachtvoll aufgezäumten weißen Pferden. Die Kaiserin trug ein Kleid aus tiefroter Seide, das mit breiten Goldborten besetzt war. Sie wirkte nicht mehr so mager und ungesund, wie Judith sie in Erinnerung hatte. Ihr rosiges Gesicht war runder und strahlte Zufriedenheit aus. Mit einem selbstbewussten Lächeln blickte sie über die vielen Menschen hinweg und winkte mechanisch mit der linken Hand, die in einem Spitzenhandschuh steckte. Ein flüchtiger Blick streifte auch Judith, doch sie schien niemanden wahrzunehmen. Ihr Haar war unter einem zarten Schleier verborgen, der mit kleinen weißen Perlen bestickt war. Auf ihrem Kopf saß eine massive Krone, Edelsteine funkelten in der Vormittagssonne. Der Kaiser an ihrer Seite sah den Menschen am Wegrand offen ins Gesicht, nickte hier, hob da die Hand oder murmelte ein paar Worte zum Gruß. Er

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