Das Geheimnis der Äbtissin
schlecht, als sie ihr erklärte, warum sie nicht an ihrer Seite speisen würde.
»Zu Gast an des Kaisers Tafel? Meine Liebe, das hat nicht einmal unser Landgraf bisher geschafft. Wie ist Euch das nur gelungen?«
Sie erzählte kurz von der Hufentzündung. Das genügte wohl auch, um die Frau mit dieser neuen Nachricht in die Gesellschaft der anderen Hofdamen zu entlassen.
Ein Knappe führte sie an den Tisch, wo sie neben Markward von Annweiler zu sitzen kam, der ihr als Lehrer und Ausbilder des jungen Königs Heinrich vorgestellt wurde. Er war sehr zuvorkommend und reichte ihr während der Zeremonie das Wasser zum Händewaschen. Dank der täglichen Übungskämpfe mit den jungen Rittern war sein Körper muskulös und breitschultrig. Sie schätzte, dass er etwa in ihrem Alter war, graue Schläfen und eine lichte Stirn ließen darauf schließen.
Der Kaiser und seine Frau saßen nur wenige Plätze von ihr entfernt. Beatrix hatte sie mit einem strahlenden Lächeln begrüßt, das sich allerdings nicht in ihren Augen wiederfand. In denen hatte eher die Frage gestanden: Was willst du?
Sie hatte bestätigt gefunden, was sie schon am Morgen während des Festumzugs gesehen hatte. Beatrix wirkte gesund und glücklich, sie hatte an Gewicht zugelegt und strahlte Zufriedenheit aus. Judiths Gegenwart musste ihr wie eine böse Erinnerung an all die vergessen geglaubten Dinge in ihrer Vergangenheit vorkommen.
Nachdem die Diener als letzten Gang Körbe voller erlesener Früchte aufgetragen hatten, brandete ringsum die Unterhaltung auf. Friedrich erzählte von der Sorge um sein Turnierpferd und dass Silas den Huf sicherlich in Ordnung bringen werde.
»Dieser Maure ist sein Geld wirklich wert gewesen, was immer mein Oheim für ihn gezahlt hat!«, prahlte er lautstark.
»Nichts hat er gezahlt«, hörte Judith sich murmeln und erschrak. Der starke Wein lockerte ihre Zunge. Sie musste vorsichtiger sein.
»Was habt Ihr gesagt?«, fragte Markward von Annweiler.
»Nichts, wirklich!« Sicher hielt er sie für eine dumme Gans, die noch nie aus ihrem Kloster herausgekommen war.
»Kennt Ihr den Mauren?«, fragte der Ritter gedämpft.
»Vor vielen Jahren haben wir vor den Toren Cremas gemeinsam Verwundete versorgt.«
»Ihr wart vor Crema?«
»Ja. In Begleitung der jungen Königin. Damals war sie noch keine Kaiserin.«
Sie spürte, dass er sie sofort anders einschätzte. Seine antrainierte Höflichkeit wich echtem Respekt. »Ihr müsst sehr jung gewesen sein.«
»Alt genug jedenfalls, um Pfeile herauszuschneiden und Sterbenden die Hand zu halten.«
»Kein Wunder, dass Friedrich so große Stücke auf Euch hält.«
»Tut er das?«
»Würdet Ihr sonst hier sitzen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hat mich heute zufällig wiedergesehen, und im Überschwang seiner Freude hat er mich eingeladen, das ist alles. Morgen, wenn er im Buhurt reitet und die Fahne schwingt, wird er mich vergessen haben.«
»Ihr seid eine beachtenswerte Frau, Schwester Judith. Ich werde Euch jedenfalls nicht wieder vergessen.« Seine Hand ruhte wie zufällig auf ihrer.
Sie zog die ihre hervor und griff nach ihrem Becher. Über dessen Rand hinweg sah sie ihn an. »Genau wie ich habt Ihr eine Aufgabe, die Euch ausfüllt, Ritter Markward. Ihr bereitet den zukünftigen Kaiser auf sein Leben vor. In Eurer Verantwortung liegt das Schicksal des künftigen Reiches.«
Er verneigte sich leicht und lächelte resigniert. Offenbar hatte er verstanden. »Trotzdem wäre es mir eine große Ehre, wenn ich Euch morgen zum Buhurt begleiten dürfte.«
»Reitet Ihr denn nicht selbst mit?«
»Eben diese Aufgabe, die Ihr so großartig beschreibt, verbietet es mir, mich solchen Gefahren auszusetzen.«
Sie lachte. »Na dann. Ich habe nichts dagegen.« Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, dieses turbulente Schaureiten anzusehen, bei dem es ihrer Meinung nach nur um männliche Prahlerei ging. Morgen würden es viele Tausend Ritter sein, die ohne Schwert und Lanze, nur Schild und Fahne schwenkend, in geordneten Formationen an den jubelnden Gästen vorbeizogen. Nach dem warmen und trockenen Wetter der letzten Tage würde wahrscheinlich schon in kürzester Zeit eine dichte Staubwolke aufsteigen und Reitern sowie Zuschauern Atemluft und Sicht nehmen. Immerhin war ein Buhurt nicht so gefährlich wie ein Turnier, weil die Reiter keinerlei Waffen trugen. Trotzdem kam es immer wieder zu Unfällen, wenn Männer abgeworfen und von den Hufen der nachfolgenden Pferde verletzt wurden. Das
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