Das Geheimnis der Äbtissin
Judith. Das ist eine sehr vage Beschreibung.«
Judith schwieg betroffen und sah hilfesuchend zu Silas hinüber.
Der starrte zu den Büscheln unter der Decke und schüttelte den Kopf. »Vielleicht gibt es diese Pflanze hier gar nicht. Was würdet Ihr dem Jungen geben, Herrin?«
»Beinwell.« Zielsicher holte Sigena mit einem Haken an einem langen Stock eines der Bündel herunter. Judith erkannte, dass es sich um dunkelbraune Wurzeln handelte, die längs aufgeschnitten und getrocknet waren.
Silas brach ein Stück ab, zerrieb es zwischen den Fingern und roch daran. Dann nickte er. »Diese Pflanze verwendete einer der Heiler aus Friedrichs Heer bei offenen Wunden. Er nannte sie Schwarzwurz.«
Sigena zuckte mit den Schultern. »Was sind schon Namen?« Sie zog einige Wurzelstücke heraus, wickelte sie in ein Tuch und hängte das Bündel wieder unter die Decke. Dann ging sie zur Tür und rief über den Hof: »Heinrich, lass mein Pferd satteln! Und schick mir die Gisel her!« Kritisch ließ sie den Blick über ihre Gäste schweifen. »Da ist doch noch was?«
Isabella nickte. »Katharina! Eigentlich sind wir wegen ihr hier.«
»Sie hat starke Schmerzen, die ganze Nacht hat sie laut gestöhnt«, ergänzte Judith.
»Ihre Augäpfel sind gelb«, warf Silas ein. »Ich gab ihr Pfefferminze und …«, er zeigte auf ein Pflanzenbüschel mit kleinen silbergrauen Blättern, die schmal wie Tannennadeln waren, »… Anthoskraut.«
»Das ist Rosmarin. Eine gute Wahl. Die gelben Augäpfel deuten wohl auf eine Lebererkrankung hin.« Sigena nickte anerkennend. Langsam verschwand der skeptische Ausdruck in ihren Augen.
»Wird sie wieder gesund?«, fragte Judith.
»Katharina ist alt, mein Kind. Da kann man nie wissen …«
Eine junge Magd betrat die Küche. »Herrin?« Sie verneigte sich kurz vor den Gästen, wobei ihr Blick etwas länger an Silas hängenblieb.
»Gisel, mach mit den Löwenzahnblättern weiter.« Sigena deutete auf einen Korb mit frischem Grün. »Aber achte darauf, dass die Milch keine Flecken auf dem Tisch hinterlässt.«
Silas warf einen Blick in den Korb. »Milchdistel«, erklärte er.
»Pusteblume«, ergänzte Judith lachend. »Jetzt verstehe ich, was die Tante meint: Was sind schon Namen!«
»In meiner Heimat nennen wir diese Pflanze
talkh-chakok,
das bedeutet ›bittere Wurzel‹. Ich glaube, auch sie könnte der Amme helfen.«
Sigena dachte kurz nach und nahm dann entschlossen einige frische Blätter aus dem Korb. »Du hast recht!« Sie packte die Kräuter in einen anderen bereitstehenden Korb, der so schmal und hoch geflochten war, dass er an den Sattel eines Pferdes gebunden werden konnte.
»Wo ist eigentlich deine Heimat?«, formulierte Isabella die Frage, die sich wohl alle gerade gestellt hatten.
»Ein kleines Dorf in der Grafschaft Edessa.«
»Edessa – das liegt weit im Morgenland. Was hat dich hierher verschlagen?«
»König Konrad hatte sich einen Dorn in den Fuß getreten, die Wunde war eitrig und wollte nicht heilen. Sie brachten ihn zu meiner Mutter.« Silas blickte Isabella direkt an. »Ich half ihr beim Anlegen des Verbandes und stellte mich wohl zu geschickt an. Er nahm mich einfach mit.«
»Er hat dich gekauft wie einen Sklaven?«
»Nein. Bezahlt hat er nicht«, antwortete er bitter.
Sigena brach nach einer Weile das betretene Schweigen. »Warum nennt man dich Maure?«
»Mein Vater war ein mauretanischer Händler. Meine Mutter heilte ihn von einem Fieber. Er zog weiter und tauchte nie wieder auf.«
Als sie über den kleinen Innenhof zu den Pferden gingen, blieb Judith stehen. »Vater trug mir Grüße an Oheim Johannes auf.«
»Er ist heute früh zur Jagd geritten. Aber Heinrich und Gisel werden ihm berichten, dass ihr hier wart.«
Auf dem Rückweg durch den Wald drängte Sigena ihr Pferd dicht an Isabellas Falben heran. »Was bedrückt dich, Kind?«
Erstaunt sah Isabella auf. Vor der Herrin vom Straußberg konnte niemand etwas verbergen. Isabella schüttelte den Kopf und schwieg, doch Sigena blieb hartnäckig an ihrer Seite. »Der Kaiser?«
Sie nickte. »Er hat wieder geheiratet.«
»Was hast du erwartet? Schließlich braucht er einen Thronfolger …«
»Er hat mich!«, fauchte Isabella und drückte ihrem Pferd die Sporen in die Weichen. Dicke Brocken Walderde flogen auf, als der Falbe davongaloppierte. Einer der Soldaten setzte ihr besorgt nach.
Sigena seufzte. Gegen derartigen Kummer gab es wohl kein Kraut.
Silas ließ währenddessen seine Blicke über das üppige
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