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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Grün des Unterholzes schweifen. Einmal hielt er sein Pferd an und saß ab. Er pflückte einen Halm, zerrieb ihn zwischen den Fingern und roch daran. Kopfschüttelnd warf er ihn wieder weg.
    »Suchst du diese Hundszunge?«, fragte Sigena. »Wie sieht sie denn aus?«
    »Beinahe wie Schwarzwurz oder Beinwell, wie Ihr es nennt, aber die Blüten stehen aufrecht, und die Blätter sind haariger.«
    Sigena dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, welche Pflanze du meinst. Aber sieh einmal dort, der vierkantige Stengel am Wegrand mit den kleinen Blüten. Das ist Gallkraut. Wir verwenden es zur Senkung des Fiebers und zum Bierbrauen.«
    Silas bückte sich und befühlte die rosaroten Blüten. »Das Kraut des Zentauren! Der Zentaur Chiron heilte damit die Wunden des Herkules. Es hilft auch gegen Würmer.«
    Sigena nickte interessiert. »Wir sollten öfter gemeinsam durch die Wälder streifen.«
    »Und ich komme mit!« Judith hörte schon eine Weile gespannt zu. »Warum nehmt ihr die Pflanze nicht mit, wenn sie so heilkräftig ist?«
    »Sie blüht. Die meisten Kräuter müssen vor der Blüte gepflückt werden.«
    Zum ersten Mal beschlichen Judith Zweifel, ob sie das komplizierte Wissen über die Heilkunst jemals beherrschen könne. Still folgte sie den beiden Heilern, die schon wieder in ein angeregtes Gespräch vertieft waren.
    »Meine Mutter verschloss die Naht mit Hilfe von Ameisen.«
    »Ameisen? Aber wie …?«
    »Sie verwendete eine bestimmte Art. In Euren Wäldern habe ich sie noch nie gesehen. Sie haben besonders große Zangen an ihren Köpfen. Wenn man sie an die Wunde setzt, kneifen sie zu und verschließen die Wundränder. Dann muss der Arzt nur noch die Rümpfe der Tiere abtrennen. Die Zangen halten lange genug fest, bis die Wunde verheilt ist.«
    Sigena lächelte fasziniert. »Ich nehme an, sie fallen später von allein ab?«
    »Das ist das Praktische daran«, bestätigte Silas.
    Als sie auf Lare ankamen, fanden sie das Gesinde im Palas in heller Aufregung. Mehrere Knechte verrückten die Tafeln im Saal, andere versuchten ein Bett durch die enge Wendeltreppe herunterzuzerren. Mägde liefen mit Wäsche und Federbetten wie aufgescheuchte Hühner umher.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Isabella laut.
    Der Vogt kam mit hochrotem Gesicht aus der Küche, als hätte er nur darauf gewartet, endlich loslegen zu können. »Herrin, die Prinzessin hat befohlen, die Kemenate zu räumen. Sie braucht sie für sich. Wir wussten nicht …«
    »Wo ist Graf Ludwig?«
    Eckardts Gesichtsausdruck wurde noch unglücklicher. »Er ritt heute früh nach Gebra. Er ist noch nicht zurück.«
    »Gerlind?«
    »Sie ist oben und verteidigt Ludwigs Lager.«
    Silas trat dazwischen. »Der Junge darf nicht bewegt werden!«
    »Ja, aber die Prinzessin …« Eckardt hob hilflos die Arme.
    Die Ankömmlinge stürmten zur Treppe, die von dem Holzgestell versperrt wurde. Mit Silas’ Hilfe zerrten die Knechte das Bett endlich nach unten. Isabella rannte die frei gewordenen Stufen hinauf, dicht gefolgt von Sigena und Judith.
    Oben in der Kemenate bot sich ihnen ein beinahe komisches Bild. Gerlind stand mit ausgebreiteten Armen vor Ludwigs Bett, dem einzigen Möbelstück, das sich noch an seinem Platz befand. An ihrem Rock hing Beringar und heulte. Sida zerrte knurrend an einem Stück Stoff, das aus einer großen Truhe herauslugte. Ludwig blickte halb ungläubig, halb belustigt aus seinen Kissen.
    Eine ältere Frau, besser gekleidet als eine Dienerin, fuchtelte mit ausgestrecktem Zeigefinger vor Gerlinds Gesicht herum und kreischte: »Du gehst jetzt zur Seite, sonst passiert etwas!« Trotz ihres starken französischen Akzents war sie gut zu verstehen.
    »Ich denke gar nicht daran«, antwortete die Magd mit gefährlich ruhiger Stimme.
    In der Ecke neben dem Fenster hockte Beatrix auf einer weiteren hölzernen Truhe, bei deren Anblick Judith sich unwillkürlich fragte, wie die Knechte es geschafft hatten, ein solch unförmiges Ding die Treppe hinaufzubringen. Die junge Braut schien keineswegs Herrin der Lage zu sein, denn sie schaute nicht minder erschrocken als die Neuankömmlinge auf die keifende Frau.
    Isabella trat einen großen Schritt nach vorn, so dass sie direkt vor der Unbekannten zu stehen kam, und fauchte: »Was fällt dir ein? Wie kommst du dazu, hier Befehle zu geben?«
    Die Frau ließ den Finger sinken und holte tief Luft. »Ich bin die Kinderfrau der Prinzessin von Burgund, und ich verlange, dass ihr ein angemessenes

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