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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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neben ihr irgendetwas von Luzifer schrie, und drückte sich geistesgegenwärtig hinter einen der großen Stützbalken, auf denen das Stalldach ruhte. Dann kamen die anderen Pferde. Sie schrie, um sie aufzuhalten, doch die Laute verschwanden im Getöse wie ein Wassertropfen im Meer. Mit donnernden Hufen galoppierten die massigen Schlachtrösser dicht an ihr vorbei, Stallmist flog durch die Luft, der Boden bebte unter ihren Füßen. In den wenigen Augenblicken schien die Welt einzustürzen, dann wurde es still. Vorsichtig lugte sie hinter dem Balken hervor. Der Stall war leer bis auf einen Maulesel in einer kleinen Bucht neben dem Tor, der verdattert über seinen Verschlag blickte.
    Und Lodi. Herzog Heinrich war zu ihm in den Verschlag geflüchtet und hatte ihn mit beiden Armen festgehalten. Mit verbissenem Gesichtsausdruck und ohne sie eines Blickes zu würdigen warf er ihm das Zaumzeug über, schwang sich auf den breiten sattellosen Rücken und nahm die Verfolgung auf.
    »Mut hat er jedenfalls, das muss man ihm lassen.«
    Sie wirbelte herum, als sie die Stimme hinter sich hörte, deren Akzent wie eine fremde Melodie klang.
    »Silas!« Beinahe wäre sie ihm um den Hals gefallen. Eine Weile stand sie ihm wortlos gegenüber, dann fand sie die Sprache wieder. »Hast du Nawar losgeschickt?«
    Er hob bedächtig die Schultern. »Er spürt von selbst, wenn jemand Hilfe benötigt.«
    »Woher wusstest du, dass …?« Wie sollte sie es nennen?
    Er lächelte und schwieg. Im Halbdunkel des Stalls musterte sie ihn ohne Scheu. Er war kräftiger geworden in den letzten Jahren, sehnige Muskeln bedeckten Brust und Oberarme. Seine Haut schimmerte braun wie das Sommerfell eines Rehs, seine Augen waren noch immer dunkel und unergründlich. Das glänzende Haar trug er im Nacken zusammengebunden. Sie schlang die Hände ineinander, um der Versuchung zu widerstehen, all diese so vertrauten Stellen zu berühren.
    »Wie ist es …«, begannen sie beide gleichzeitig, brachen ab und lachten.
    Draußen wurden Stimmen laut. Die Knechte liefen mit Fackeln über den Hof und versuchten die umherirrenden Pferde einzufangen.
    »Ihr müsst zurück in den Palas«, mahnte Silas. »Die Männer sollten Euch nicht hier sehen.«
    »Aber es gibt so viel zu reden«, sagte sie leise.
    Er zögerte. »Dann lasst uns in den Garten gehen.«
    »Wann reitet der Kaiser weiter?«
    Er hob vage die Schultern. »Ich denke, morgen.«
    Morgen schon! Sie hatten nur diese Nacht. Das war so viel und gleichzeitig schrecklich wenig. Ihr Herz flatterte in der Brust wie ein Vogel auf der Leimrute. Im Kräutergarten hinter der Küche trafen sie nur die rote Katze. Sie lag geduckt unter dem Trockenregal und belauerte irgendetwas Unsichtbares.
    »Wie steht es um Euer zweites Gedächtnis?«, fragte er.
    Sie setzte sich auf die kleine Bank neben der Treppe, auf der sie manchmal nach der Gartenarbeit verschnaufte. »Oh, es wächst und wächst. Der Papyrus ist im Herbst zu Ende gegangen, ich schreibe jetzt auf Pergament weiter.«
    »Das ist gut.« Silas stand vor dem Thymianstrauch und zerrieb ein Blatt zwischen seinen Fingern.
    »Und du? Was machst du, wenn der Kaiser nicht krank ist?«
    Der Thymian schien seine ganze Aufmerksamkeit zu verlangen. »Er hat viele Freunde, die meine Dienste in Anspruch nehmen. Dem einen wollen die Winde nicht abgehen, der andere verträgt den Wein nicht gut. All diese kleinen Dinge, die den Herren das Leben schwer machen.«
    »Und die Königin? Verlangt sie auch nach dir?« Ein wenig fürchtete sie sich vor der Antwort.
    »Ja. Sie empfängt nicht. Das belastet sie sehr.« Er sprach leise.
    »Die Ehe wurde vollzogen?« Eigentlich hätte sie es wissen müssen. Beatrix hatte so etwas ausgestrahlt.
    »Aber ja, schon vor einem Jahr.«
    Vor einem Jahr war Beatrix fünfzehn gewesen, so alt wie Judith jetzt.
    »Setz dich!« Sie klopfte ungeduldig auf die Bank, doch er schien ihre Bitte nicht zu hören. »Was hast du probiert? Frauenmantel?«
    Es war jetzt vollkommen dunkel, und sie sah nur den Umriss seines Oberkörpers vor dem Nachthimmel. »Schlagt etwas vor.«
    Sie atmete tief ein. »Auf alle Fälle Frauenmantel. Als Aufguss, zweimal pro Tag einen Becher.« Warum stand er noch immer weit weg von ihr vor diesem Kräuterbusch? Der starke Duft des Thymians wehte herüber. »Und Gänsefingerkraut. Vielleicht beides gleichzeitig?«
    »Gut. Ich habe außerdem noch Salbeisaft verordnet.« Der fast volle Mond trat hinter einer Wolke hervor und beleuchtete schwach den

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