Das Geheimnis der Äbtissin
kurzen Weg zwischen Bank und Kräuterstauden. Silas begann hin und her zu laufen. »Doch nichts hat geholfen.«
»Aber sie ist jung. Vielleicht zu jung?«
»Nein. Sie ist alt genug. Auf dem Weg nach Hannover hat sie sich an die Nonne Hildegard gewandt.«
»Die berühmte Äbtissin vom Rupertsberg?«
»Ja.« Er blieb stehen. »Jetzt bin ich gespannt, ob diese Frau mehr kann als ich.«
»Welchen Rat hat Beatrix bekommen?«
»Ich weiß es nicht. Sie spricht nur mit mir, wenn sie mich braucht, und dann auch nur das Nötigste.«
»Vielleicht kann ich es herausfinden.«
Eine Weile war es still im Kräutergarten. Vom Hof her hörten sie vereinzelte Rufe und Hufgetrappel. Offenbar wurden die ersten Pferde zurückgebracht. Die Katze hatte die Jagd aufgegeben und strich um ihre Beine. »Und wenn es am Kaiser liegt?«, überlegte sie laut.
»Möchtet Ihr ihn das fragen? Außerdem hat er bereits eine Tochter.«
Wieder schwiegen sie. Aus dem Pferdestall drangen Hammerschläge laut durch die Nacht. Die Buchten mussten notdürftig ausgebessert werden. Silas ging in die Hocke und strich der Katze über den Rücken. Sie begann zu schnurren. Judith krallte ihre Finger fest um das rissige Brett, auf dem sie saß.
»Was ist aus der alten Katharina geworden?«, fragte er.
»Sie starb im vorigen Sommer. Sie ist nie wieder richtig auf die Beine gekommen.«
»Und der Bauernjunge?«
Diese Frage fuhr ihr wie eine Messerspitze an die Kehle. »Er bekam die Tollwut.«
»Das hatte ich befürchtet. Diese Krankheit ist klebrig wie heißes Pech.«
»Ich habe die Wasserprobe angewandt.«
»Hat … es lange gedauert?«
Sie zögerte. »Ich habe ihm Mohnsaft gegeben.«
»Manchmal müssen wir Entscheidungen treffen, bei denen Herz und Verstand sich streiten«, sagte er.
Noch immer stand er auf dem Weg, der Mond umhüllte ihn mit silbrigem Licht. Sie musste ihm so viel sagen, doch etwas verschloss ihr die Lippen wie eine sauber ausgeführte Wundnaht. Sie schob ihre Hand über die leere Sitzfläche neben sich und fühlte die Splitter des Holzes.
»Nawar dürfte inzwischen zurück sein. Ich muss nach ihm sehen.« Es klang kühl. »Soll ich Euch zum Palas begleiten?«
»Nein.« Sie suchte nach einer Begründung, während sie mit den Fingern über das Holz rieb, als müsste sie es glätten. Als sie schließlich aufsah, schien der Mond auf einen verlassenen Gartenweg.
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Burg Lare, Frühsommer anno 1158
»Wie trostlos erscheint mir das Leben. Silas ist fort, kein vertrauliches Wort brach die Mauern zwischen uns. Manchmal müssen wir Entscheidungen treffen, bei denen Herz und Verstand sich streiten. Erst jetzt begreife ich, dass er damit nicht die Dosis des Mohnsaftes gemeint hat. Er hat es auch gespürt, dieses Gefühl, das den ganzen Körper ausfüllt wie warmes, duftendes Öl. Wäre er sonst in meiner Nähe gewesen im Moment der Gefahr? Niemandem habe ich von der Geschichte im Stall erzählt, nicht einmal Isabella. Sie hätte den Herzog womöglich zur Rede gestellt. Seine Blicke drangen mir während der Frühmesse wie Ahlen unter die Haut. Wie sie alle seine Umsicht lobten. So habe er doch als Erster den Ausbruch bemerkt und Schlimmeres verhindert, indem er den Rössern gleich gefolgt sei. Der alte Ruppert behauptete, er habe einen schwarzen Dämon mit feuerglühenden Augen auf dem Dach des Stalls gesehen. Mit dieser Erklärung schienen sie zufrieden, und Pater Martinus musste nach der Messe den Stall segnen. Er bespritzte das Gebäude innen und außen mit reichlich Weihwasser. Er hätte den Herzog mit dem Weihwasser überschütten sollen.
Beatrix hängt mir am Rockzipfel, kaum dass ihr Bischof einmal unterwegs ist. Ich sitze unbequem zwischen zwei Stühlen, denn Isabella macht mir deswegen die Hölle heiß. Doch was soll ich tun? Immerhin ist Beatrix die Königin, ich kann sie nicht abweisen. Außerdem muss ich noch etwas in Erfahrung bringen. Das bin ich Silas schuldig.«
Seit dem Mittag schon türmten sich dunkle Wolken hinter dem Reinhardtsberg und schoben sich drohend wie ein feindliches Heer auf die Burg zu. Gleichzeitig schien sich die Luft zu verdichten, das Atmen fiel schwer, die Hitze lag gleich einem langhaarigen Schaffell auf den schwitzenden Leibern. Am Fuß der Mauern rechten einige Bauernfamilien in großer Hast die erste Heuernte zusammen. Eilig wurden die Fuder auf Leiterwagen gegabelt und zu den Schobern gefahren, die auf der Wiese angelegt waren. Mit langen zweizinkigen Gabeln packten die Männer das trockene
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