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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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eisgraue Augen. Ihre Nackenhärchen richteten sich auf, und sie trat erschrocken einen Schritt zurück. Dabei stolperte sie über einen Stein und verlor das Gleichgewicht. Er packte sie hart an den Schultern und hielt sie fest. Sie spürte seinen Atem im Gesicht. Sein Körper verströmte die herbe Geruchsmischung von Pferd, Eisen und Schweiß.
    »Es gibt viele Möglichkeiten, in diesen Bergen zu sterben, Jungfer Judith«, sagte er und lachte leise. Dann ließ er sie abrupt los und wandte sich ab.
    Im Hintergrund sah sie Berthold, der sie besorgt musterte. Sie versuchte zu lächeln, doch der Schreck saß in ihren Gliedern, und sie brachte nur eine schiefe Grimasse zustande.
    Sie erreichten mit Einbruch der Dunkelheit das tiefer gelegene Tal. Bei Ziegenhirten fanden sie eine einfache Herberge. Zwei Tagesmärsche entfernt liege der Comer See, erklärte ihnen ein alter Mann, der ein paar Brocken Deutsch beherrschte. Der Graf von Chiavenna empfing sie einen Tag später in seinem Castell, wo Beatrix mit einem Freudenschrei die Federbetten in den Gästezimmern entdeckte. Trotz der lang ersehnten Bequemlichkeit zogen sie am nächsten Morgen sofort weiter.
    So nah am Ziel wurde Beatrix wieder ungeduldig. »Endlich werde ich Friedrich wiedersehen!«, sagte sie strahlend, als sie Chiavenna durch das Südtor verließen.
    Judith schwieg. Was sollte sie auch entgegnen? Sie konnte noch immer nicht glauben, dass Beatrix und Konrad tatsächlich … Sie musste Isabella schreiben. Oder besser nicht? Mit wem konnte sie darüber reden? Mit dem Herzog? Er ritt in letzter Zeit meist an ihrer Seite, und er war ein angenehmer Gesprächspartner, doch würde er ihr glauben? Und sie würde ihn ohnehin aus den Augen verlieren, wenn er seine Truppen vor Crema in den Kampf führte.
    Je näher sie dem See kamen, umso milder war das Klima. Warme Luft wehte ihnen wie eine liebliche Begrüßung entgegen und brachte einen fremden, würzigen Duft mit. Der Himmel zeigte sich im schönsten Blau. Schon am nördlicheren Mezzolasee wuchsen Palmen und dunkelrot blühende Büsche, von denen niemand im Tross wusste, wie sie genannt wurden. Staunend betrachtete sie Zitronenbäume mit großen und kleinen gelben Früchten und schnupperte an den trichterförmigen Blüten der Hibiskussträucher. Nach den eintönigen und lebensbedrohlichen Steinwüsten der vergangenen Wochen kam ihr dieses Land wie das Paradies vor.
    »Willkommen in Italien!«, sagte der Herzog schmunzelnd.
    »Ich glaube, jetzt weiß ich endlich, warum die Menschen diese furchtbaren Berge überqueren«, entgegnete sie.

 
     
    Mich freut es, seh ich weit und breit
    Gezelt und Hütten angereiht:
    Mich freut’s, wenn auf den Feldern
    schon Mann und Roß zu nahem Streit
    gewappnet stehen und bereit.
     
    Mich freut’s, wenn die Plänkler nah’n
    und furchtsam Mensch und Herde weicht,
    mich freut’s, wenn sich auf ihrer Bahn
    ein rauschend Heer von Kriegern zeigt,
    es ist mir eine Augenweid’,
    wenn man ein festes Schloss bezwingt
    und wenn die Mauer krachend springt.
     
    Betran de Born, Vicomte d’Hautefort

[home]
    Feldlager vor Crema, Dezember anno 1159
    »Der Krieg frisst Eisen und säuft Blut. Monat um Monat. Doch die Stadt fällt nicht. Crema ist stark, mächtige Mauern, die den Rammböcken trotzen, tiefe Gräben voll schlammigen Wassers. Und Menschen, die sich nicht entmutigen lassen von dem Anblick Tausender Kriegsknechte vor ihren Toren. Wie lange werden wir noch hier in dieser feuchten Ebene ausharren? Wie lange noch Pfeile aus blutigem Fleisch zerren, von Schwertern zerhackte Haut zusammenflicken, eitrige Löcher ausschaben und mit Salbe zuschmieren? Wie oft fiebernde Männer waschen, ihnen Mohnsaft einflößen, damit sie nicht zu laut schreien, nur um sie Wochen später wieder auf dem Tisch liegen zu haben? Neben Narben, die noch rosa sind, steckt erneut eine Pfeilspitze …
    Ist es Sünde, dass ich trotzdem glücklich bin? Ich arbeite jeden Tag mit Silas. Nach wie vor ist er unnahbar und kühl wie das Eis auf dem Septimerpass, doch ich bin ihm nah. Ich sehe sein Gesicht, ich berühre seine Hände, wenn er mir das Skalpell gibt. Ich atme dieselbe Luft, ich fühle seine Wärme, während ich bei ihm stehe.
    Ich lerne viel, auch von den anderen Wundärzten. Doch Beatrix beansprucht mich oft, jetzt, da sie schwanger ist (endlich!). Morgens ist ihr meist übel, ich bin ständiger Gast im kaiserlichen Zelt. Tagsüber geht es ihr besser. Gut, dass ich so viel Enzian aus den Bergen

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