Das Geheimnis der Äbtissin
Soldaten aufhielten. Ein ersticktes Geräusch ließ sie aufhorchen. Es klang wie der Schrei eines kleinen Tiers. Vielleicht gelang es ihr, eines dieser possierlichen Murmeltiere aus der Nähe zu sehen? Vorsichtig schlich Judith zwischen die weißen Stämme der jungen Bäume, ein ideales Versteck für die scheuen Tierchen. Geduckt kroch sie unter den Kronen durch, so leise wie möglich schob sie sich Stück für Stück durch das Geäst. Wieder war ihr der Umhang im Weg. Sie legte ihn mit dem Schnittlauchbündel am Fuß einer der Birken ab. Im Innern öffnete sich das Wäldchen zu einer Lichtung, die mit hohem Gras bewachsen war, das sich leicht im Wind bewegte. Von dort hörte sie erneut ein hohes Keckern, wie sie es von den Eichhörnchen zu Hause kannte.
Neugierig schob sie einen Ast beiseite und richtete sich langsam auf, um im nächsten Moment erschrocken zurückzufahren.
Von wegen Eichhörnchen!, durchfuhr es sie. Was bin ich für ein Schaf.
In der Mitte der Lichtung, wo die Sonnenstrahlen den Tau schon aus der Wiese gezogen hatten, lagen zwei Menschen. Der Mann beugte sich über die Frau mit den hellen Zöpfen. Sein schulterlanges Haar glänzte in der Sonne und verdeckte sein Gesicht. Doch sie musste es nicht sehen, um zu wissen, wen sie aufgespürt hatte. Sie duckte sich hinter das hohe Gras und überlegte fieberhaft, wie sie unentdeckt von hier wegkommen konnte.
»Konrad, bitte …!«, hörte sie Beatrix kichernd sagen.
Wie hatte sie das für ein harmloses Eichhörnchen halten können? Vorsichtig schob sie einen Fuß zurück unter die Birken.
»Vertrau mir!« Seine Stimme schnurrte wie Katharinas Spinnrad.
»Aber … es ist Sünde!«
»Nein, das ist es nicht. Friedrich braucht einen Thronfolger.
Sacrum imperium,
sind das nicht seine Worte? Wenn du nicht bald empfängst, wird er dich verstoßen.«
Judiths Haare verfingen sich in einem Birkenast. Hastig zerrte sie daran.
»Und wenn er etwas merkt?«
»Wie sollte er!« Konrads Stimme klang jetzt gepresst, leise Ungeduld schwang darin. »Er ist weit weg!«
Es blieb eine Weile still auf der Wiese. Ein Buchfink schlug im Wipfel einer Birke. Judith reckte vorsichtig den Hals, richtete sich weiter auf. Die Blätter der untersten Äste boten ihr Schutz. Konrad beugte sich über die Königin, die langgestreckt im Gras lag. Seine Hände bewegten sich unter ihrem Kleid, als würde er Brotteig kneten. Judith vergaß zu atmen. Beatrix strich ihm das Haar hinter die Ohren und hob die Hüften, um ihm sein Tun zu erleichtern. Er streifte ihr die Tunika über den Kopf, rollte sie zusammen und schob sie ihr unter den Nacken. Sein Finger fuhr von ihrem Hals hinab über ihre Brust, kreiste um ihren Bauchnabel und schließlich um das goldene Dreieck darunter.
Judith krallte ihre Finger ins Moos. Welcher Teufel hatte sie in dieses Wäldchen geführt? Sie musste hier weg, aber wenn sie jetzt aufstand, würde sie vielleicht entdeckt werden. Verzweifelt duckte sie sich wieder ins Gras.
»
Sacrum imperium,
das Reich ist heilig, meine Schöne. Genau wie das, was wir hier tun. Denn wir tun es für das Reich, hörst du? Für das Heilige Römische Reich!« Er sprach hastig, abgehackt, sein Atem ging schneller. Hinter ihrem Versteck aus Halmen hörte sie eine Gürtelschnalle klimpern und Kleider rascheln, dann stöhnte Beatrix auf, wimmerte wie ein Kätzchen, das nach der Mutter schreit. Als auch Konrad dumpf zu stöhnen begann, kroch sie rückwärts unter den Birken hervor, schnell, immer schneller. Es war ihr egal, dass Äste unter ihren Füßen knackten und ein Eichelhäher kreischte. Sie rannte den Berg hinab und über die Wiese, zwischen erstaunten Soldaten hindurch. Erst Herzog Berthold, der vor dem Heuspeicher stand, brachte sie zum Stehen.
»Judith, was ist passiert? Habt Ihr einen Berggeist gesehen?« Sanft rüttelte er an ihren Schultern.
»Nein! Ja … das heißt …« Sie japste atemlos.
»Judith?« Er blickte sie ernst an.
Gütiger Jesus, hilf! Was sollte sie ihm sagen? Sie sah zurück zum Birkenwäldchen. Vom Plateau darüber blickte eine weißbunte Geiß herab. »Ziegen!«, entfuhr es ihr.
Der Herzog schaute sie ungläubig an, dann begann er schallend zu lachen. Um nicht gar zu blöd auszusehen, stimmte sie zögernd ein. Sollte er sie doch für eine dumme Gans halten, nichts anderes war sie schließlich auch.
»Ihr schneidet einem Mann all seine Finger ab, ohne mit der Wimper zu zucken, und lauft am Tag darauf vor ein paar Ziegen davon?« Er schüttelte
Weitere Kostenlose Bücher