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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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verbargen.
    Die ersten Helfer rannten zum Schlachtfeld, um die Verletzten zu bergen und die hilflosen Pferde zu erlösen. Judith wollte bereits ihre Stute wenden, um im Zelt Vorkehrungen zu treffen, da schwoll das Gebrüll erneut an. Sie kniff die Augen zusammen, um gegen die sinkende Sonne sehen zu können. Auf der Mauer ging etwas vor. Ein Mann wurde auf die Zinnen geschoben. Er zappelte und schrie.
    »O nein! Nicht das schon wieder!«, stöhnte sie.
    »Seht nicht hin, Judith.« Silas wandte sich ab. »Lasst uns reiten. Wir werden zu tun haben.«
    Der Mann auf den Zinnen brüllte jetzt so laut, dass seine Worte zu verstehen waren. »Jesus! Gütiger Jesus! Steh mir bei!«
    Ein harter Schlag hallte herüber, ein schrilles Quieken, dann fiel etwas die Mauer hinab. »Sie fangen heute mit den Händen an«, sagte Judith sarkastisch. Die Szene wiederholte sich, wieder ein Schrei, der in den Ohren schmerzte. »Herrgott, hilft ihm denn niemand?« Ein weiterer Schlag. Die Schreie von der Mauer klangen längst nicht mehr menschlich.
    »Judith, bitte! Lasst uns reiten!«
    »Wo sind denn unsere Bogenschützen? Zum Teufel mit ihnen! Warum erlösen sie den Mann nicht?« Das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu.
    Doch jetzt kam Bewegung in die Soldaten unten an der Mauer. Drei, nein, vier Reiter preschten heran und spannten ihre Bögen. Während die Belagerten versuchten den misshandelten Gefangenen hinter die Zinnen zu zerren, zischte der erste Pfeil nach oben, dicht gefolgt von den anderen. Die Schreie verstummten abrupt. Eines der Geschosse hatte sein Ziel erreicht. Die Frauen warfen mit wütendem Gekreisch den verstümmelten Leichnam hinab in den Graben.
    Als Judith am Abend zum Zelt zurückritt, blinkten die ersten Sterne am Himmel. Silas begleitete sie durch das von zahlreichen Feuern erhellte Lager. Sie erinnerte sich an die Nächte nach ihrer Ankunft, in denen sie erstaunt festgestellt hatte, dass die Sternbilder hier dieselben waren wie zu Hause.
    »Zu Hause liegt vielleicht schon Schnee«, sagte sie leise. »In zwei Wochen ist Weihnachten.«
    »Vermisst Ihr den Winter?«, fragte Silas.
    »Ja. Er ist zwar kalt, aber er ist besser als … das hier. Er ist still und friedlich.«
    »Alles ist besser als dieser Krieg«, murmelte er.
    Judith schwieg. Sie waren vor dem Zelt des Grafen angekommen. Ein Diener trat heraus. »Herrin, die Königin hat nach Euch verlangt!«
    Sie seufzte.
    »Eine schwierige Schwangerschaft«, stellte Silas fest.
    Und wie!, dachte Judith ironisch. »So kompliziert wie ihr Zustandekommen«, rutschte ihr heraus. Erschrocken sah sie sich um. Die Zeltstadt war besonders hellhörig.
    »Ich wüsste zu gern, was ihr nun geholfen hat, mein Aufguss oder der Rat dieser Hildegard«, sagte er.
    Sie drängte ihre Stute dicht an Nawar und beugte sich zu ihm hinüber. »Nichts von beiden«, flüsterte sie und genoss das Gefühl, ihm so nahe zu sein.
    Er runzelte die Stirn. In diesem Moment trat Bischof Konrad aus dem Zelt des Grafen. Sein Blick streifte sie und wurde finster. Judith sprang vom Pferd und rief nach einem Knecht.
    »Bis morgen!« Sie nickte Silas zu.
    Der verstand und hob die Hand zum Gruß, bevor Nawar davongaloppierte.
    Vorsichtig über die Spannschnüre steigend, lief sie zunächst in das Zelt ihres Vaters. »Was wollte der Bischof hier?«, überfiel sie den Grafen, der sich über einige Rollen Pergament beugte.
    Er blickte auf. »Judith!«, murmelte er zerstreut. »Hattet ihr viel zu tun?«
    »Es war schon schlimmer. Seit kurzem nehmen uns die Einwohner von Crema etwas Arbeit ab.«
    Er runzelte die Stirn. An ihren Sarkasmus musste er sich erst gewöhnen. »Ich weiß – du hast es gesehen?«
    Sie nickte. »Selbst wenn nicht, ich hätte es
gehört!
«
    »Die Fronten verhärten sich, beide Seiten werden grausamer. Vorgestern haben unsere Soldaten mit dem Kopf einer Geisel Ball gespielt. Als Friedrich davon erfuhr, war es bereits zu spät.« Er seufzte. »Diese Belagerung dauert zu lange. Du hättest den Kaiser sehen sollen, er war schneeweiß vor Wut.«
    »Das ist das mindeste, was ich von ihm erwarte.«
    »Was sollte er denn deiner Meinung nach tun?« Ein spöttischer Unterton lag in seiner Stimme, der sie noch wütender werden ließ.
    »Die Bogenschützen, die den Unglücklichen erlösen sollten, kamen viel zu spät. Der Kaiser muss etwas Entscheidendes unternehmen, etwas, was diese entsetzliche Belagerung endgültig beendet.«
    Der Graf schwieg eine Weile. Er wusste, dass sie recht hatte. »Den

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