Das Geheimnis der Äbtissin
englischen Bogenschützen ist es egal, wenn einer der Unseren gefoltert wird. Sie sind Söldner und kämpfen ohne Herzblut. Aber sie sind die Besten, Friedrich kann nicht auf sie verzichten.«
Judith winkte resigniert ab. »Wir haben wahrscheinlich eine Seuche im Lager.«
Er sah sie besorgt an. »Das fehlte noch. Weiß Friedrich davon?«
Sie hob die Schultern. »Ich muss jetzt sowieso nach Beatrix sehen. Ich werde fragen.«
»Vielleicht kannst du ihm zureden, dass er euch nach Hause schickt. Für die Königin ist das hier kein Leben. Und mir wäre wohler, wenn ich dich auf Lare wüsste. Wer weiß, wie diese Geschichte ausgeht …«
Judith musterte ihren Vater. Noch nie hatte er so niedergeschlagen gewirkt. »Was wollte eigentlich der Bischof?«
»Er hat mir Pläne für eine neue Kirche gebracht. Der Kaiser hat sie mir vorige Woche zugesagt. Konrad hat gleich Entwürfe angefertigt. Schau, wenn die Basilika in Mönkelare fertig ist, geht es auf Lare hiermit weiter.« Er deutete auf die Rollen auf seinem Tisch. Judith sah eine kleine Kirche, die ungewöhnlich aussah. Irgendwie höher als üblich …
Dann erkannte sie den Unterschied. »Sie hat zwei Stockwerke!«, rief sie.
Der Graf lachte leise. »Genial, nicht? Einen besseren Planer als den Bischof konnten wir nicht bekommen. Dem Kaiser sei Dank.« Sein Finger fuhr über das Pergament. »Wir haben einfach zu wenig Platz im Burghof für eine größere Kirche. So brauchen wir das Nebengebäude nicht abzureißen, und trotzdem passen alle Leute in die Kapelle. Das Beste hast du aber noch nicht gesehen. Schau hier.« Er zeigte auf die Stelle der Zeichnung, wo die Kapelle an das Nebenhaus grenzte. »Siehst du den Durchbruch? Konrad meint, wenn wir hier eine neue Kemenate einrichten, könnten wir trockenen Fußes direkt in das Obergeschoss der Kirche gelangen.« Er sah sie abwartend an.
»Äußerst geschickt, dieser Bischof«, murmelte sie doppelsinnig. Langsam begriff sie dessen infame Strategie. Er versicherte sich der vollen Zuneigung des Grafen. Falls sie auf die Idee käme, ihrem Vater von seinem Verhältnis zu Beatrix zu erzählen, würde der bereits so sehr auf seinen genialen Bauherrn angewiesen sein, dass er ihr nicht glauben würde oder ihr nicht glauben wollte. Am Ende hatte er sich gewiss beim Kaiser dafür verwandt, diese Kapelle bauen zu dürfen. Vielleicht ging sein Plan sogar noch weiter … Was, wenn sie mit dem Bischof und der Königin zurückreiste und ihr unterwegs etwas zustieß? Niemand würde Verdacht schöpfen.
»Sagt, Vater, habt Ihr mit Konrad auch über Beatrix gesprochen?«, fragte sie und versuchte harmlos zu klingen.
Der Graf blieb arglos. »Ja. Auch er macht sich große Sorgen um ihre Gesundheit. Er findet, sie sollte von hier weggebracht werden.«
Das passte ins Bild. Die Schwangerschaft war glaubwürdig geworden, jetzt wollte der Bischof die restlichen Monate bis zur Niederkunft mit ihr allein genießen. Weit weg vom unbequemen Lagerleben, von gefährlichen Schlachten und bedrohlichen Seuchen. Und mit dem Bau der Kapelle hatte er sich einen Grund geliefert, Crema zu verlassen. Und doch hatte er einen Fehler gemacht. Sie grinste unwillkürlich. Er hatte Isabella vergessen …
Mit ihrer Medizintasche unter dem Arm betrat sie wenig später das königliche Zelt. Es war das größte Wohnzelt im Lager. Das Dach war über einem großen Speichenrad aufgespannt, das am Mittelmast befestigt war. Die Seitenwände aus fest gewebtem gewachsten Leinen waren außen mit dem Adler des Kaisers bemalt, schwarz auf goldenem Grund. Ein in kunstvollen Bögen geschnittener Behang verzierte den Dachrand und verdeckte den offenen Übergang zu den Wänden. Im Innern war die Behausung des Kaiserpaars prunkvoll ausgestattet mit Möbeln und Teppichen. Wenn das knatternde Geräusch des flatternden Stoffs und der hereindringende Lärm des Lagerlebens nicht gewesen wären, hätte sie das Gefühl gehabt, in einem festen Haus zu sein.
Beatrix lag auf dem großen Bett, von dessen Holzgerüst helle Stoffbahnen hinabfielen wie Wasserfälle in den Bergen. Jemand hatte sie an einer Seite hochgebunden, so dass sie das Geschehen im Raum verfolgen konnte. Der Kaiser, der Judiths Kniefall mit einem kurzen Nicken honorierte, war in ein Gespräch mit zwei fremden Männern vertieft. Neben ihm standen Heinrich der Löwe, der Kanzler Rainald von Dassel und etwas abseits, so als wollte er sich von den anderen distanzieren, erkannte sie seinen Halbbruder, den Pfalzgrafen
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