Das Geheimnis der Äbtissin
Stoff hörte sie die Männer lauter diskutieren.
»Wir müssen es erneut mit dem Turm versuchen«, donnerte Rainald von Dassel. »Am besten gleich heute, wo sie noch ihre Wunden lecken.«
Irgendjemand wandte ein: »Wir haben keine Geiseln mehr.«
»Dann bespannen wir ihn eben mit Fellen und Wolldecken, die haben die gleiche Wirkung.«
Beatrix starrte sie mit großen Augen an. »Du denkst, dass es besser ist, wenn das Kind tot ist, nicht wahr?«
Judith zuckte zusammen. Kam jetzt die Stunde der offenen Karten?
»Es ist ein Kind …« Sie suchte vergeblich nach Worten. »Aber Ihr seid die Königin. Ihr müsst überleben, dann werdet Ihr weitere Kinder haben.« Sie wunderte sich, wie glatt ihr diese Worte über die Lippen gingen. »Denkt daran, wie unglücklich Ihr den Kaiser zurücklassen würdet.«
Beatrix seufzte. »Im Moment wäre es tatsächlich ein schwerer Schlag, bereitet ihm dieses Crema doch schon so schreckliche Sorgen.« Sie sah sie direkt an. »Es gab viele Tote gestern, nicht wahr?«
»Ja. Unter anderem den Herzog, Euren Vetter.« Sie konnte es sich nicht verkneifen, einen Vorwurf in ihre Stimme zu legen.
»Oh, ist das wahr? Das tut mir wirklich leid.« Sie griff mit zittrigen Händen nach ihrer Decke und zog sie sich unter das Kinn, als könnte sie sich so vor den Tatsachen schützen.
Judith sah sie genau an. Beatrix schien wahrhaftig betroffen zu sein. Sie fasste an ihren Gürtel, jetzt setzte sie alles auf eine Karte. »Er starb durch diesen Bolzen, Hoheit. Er steckte in seinem Rücken und verletzte seine Lunge, sicher auch sein Herz.«
Beatrix riss die Augen auf. Sie begriff sofort, was nicht stimmte. »In seinem Rücken? Unmöglich, dass Berthold etwa fliehen wollte … Nein, er war einer der tapfersten Männer, die ich kenne.« Sie richtete sich ächzend auf, ihr Blick wurde wachsam. »Warum trägst du den Pfeil bei dir?«
»Nein, der Herzog wollte nicht fliehen. Er steckte in seinem Rücken, weil ihn jemand aus seinen eigenen Reihen erschossen hat, Hoheit. Es ist ein Bolzen aus einer kaiserlichen Armbrust.«
»Aber …« Sie sah Judiths entschlossene Miene und verstummte. Ohne weitere Worte ließ sie sich in die Kissen zurücksinken. Sie hatte verstanden.
»Und jetzt lasse ich den Haferschleim bringen«, sagte Judith und steckte den Pfeil demonstrativ zurück in den Gürtel. »Und wir öffnen die Vorhänge, um frische Luft hereinzulassen. In diesem Mief muss Euch ja übel werden.«
Sobald sie alles erledigt hatte, ritt sie zum Verwundetenzelt. Silas war bereits an der Arbeit. Es waren noch mehr als zwei Dutzend Schwerverletzte zu betreuen. Sie winkte ihn heraus und zog ihn ein Stück vom Zelt weg.
»Silas, ich glaube, das Kind in der Königin ist tot. Sie sagt, es bewegt sich nicht. Und ihr geht es wieder schlechter.«
Er sah sie aufmerksam an. »Wenn Ihr ganz sicher seid, gebt ihr etwas, das die Frucht aus dem Körper treibt.«
»Salbei? Petersilie? Ein Umschlag aus Beifuß?« Schon überlegte sie, welche von diesen Kräutern sie vorrätig hatte.
Silas nickte. »Mit der Petersilie seid vorsichtig. Nicht zu viel davon. Es könnte sie töten. Falls nichts hilft, dann ruft mich. Ich habe noch Mutterkorn in meinen Vorräten.«
»Der Kaiser wird ohnehin wollen, dass du nach ihr siehst. Zur Not müssen wir das Kind herausholen.«
»Ich weiß«, seufzte er. »Ich hoffe, dass ihr Körper sich selbst helfen kann.«
Am Morgen des Heiligen Abends bekam Beatrix heftige Wehen. Sie verlangte nach dem Bischof, der ihr, verborgen von den dichten Vorhängen, die Beichte abnahm und die Letzte Ölung verabreichte. Als Konrad das Zelt verließ, stieß er fast mit Judith zusammen, die von einem Diener alarmiert worden war. Sein provokanter Blick ließ sie stehen bleiben. Sie sah ihm fest in seine schmalen Augen und fragte: »War es das, was Ihr wolltet?« Erschrocken über ihren Mut, drängte sie an ihm vorbei. Sie sah sich nicht um und schlüpfte eilig hinter den Bettvorhang.
Beatrix kämpfte still und verbissen, ihr geschwächter Leib aktivierte die letzten kümmerlichen Kraftreserven. Judith ahnte, dass sie als Buße auffasste, was ihr geschah. Nach qualvollen Stunden hatte sie den toten Fötus herausgepresst. Es war ein Junge. Der Kaiser betrachtete lange den winzigen blauverfärbten Körper, bevor er Anweisungen gab, ihn stillschweigend zu bestatten.
Schmal und bleich lag Beatrix in dem großen Bett. Judith flößte ihr Löffel für Löffel Hühnerbrühe ein.
»Ihr werdet es schaffen,
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