Das Geheimnis der Äbtissin
wenn Ihr esst. Das seid Ihr dem Kaiser schuldig.«
»Es war ein Kind der Sünde«, flüsterte Beatrix so leise, dass Judith so tun konnte, als hätte sie nichts gehört.
Die Weihnachtsfeiertage verbrachte sie überwiegend im Zelt des Kaisers, um die Kranke zu pflegen. »Kümmere dich um sie«, hatte der Kaiser sie angewiesen. »Sie muss wieder auf die Beine kommen. Ich verlasse mich auf dich.«
Bischof Konrad hielt eine Christmesse nur für den Kaiser und seine engsten Freunde ab, an der auch Beatrix und Judith teilnahmen.
Am zweiten Weihnachtstag trafen die beiden Italiener aus Cremona wieder ein. Sie hatten einen kleinen Mann im Gefolge, dessen dunkler Lockenkranz wie eine Tonsur auf seinem Kopf lag. Er mochte vielleicht vier Jahrzehnte alt sein, sein Gesicht wirkte schlau, seine Bewegungen waren kräftig und energiegeladen.
»Maestro Marchesi!«, erklärten die beiden anderen Männer, nachdem sie den Kaiser gebührend begrüßt hatten. Friedrich bat sie an seinen Tisch. Neugierig betrachtete er den Meister, von dem die Gerüchte sagten, er sei der beste Katapultbauer aller Zeiten.
Beatrix, die sich in den letzten Tagen zusehends erholt hatte, bat Judith, den Vorhang einen Spalt zu öffnen. Endlich ein wenig Abwechslung.
»Wie ist er aus der Stadt hinausgekommen?«, begann der Kaiser sein Verhör.
Einer der Männer übersetzte und antwortete auch für den Meister. »Er ist über Mauer geklettert mit Seil und durch Wassergraben geschwommen. Sie alle feiern Fest des Heiligen Christ in Stadt, niemand hat gemerkt.«
»Was bietet er mir an?«
Auf diese Frage hin kramte der Meister aus einem ledernen Behälter, den er an den Körper gebunden hatte, eine dicke Rolle hervor. Als er sie auf dem Tisch glättete, sah Judith, dass sie aus mehreren Pergamenten bestand. Er blätterte sie auseinander und wies sie dem Kaiser. Mit dem Finger deutete er auf das oberste Blatt. »Mangan!«, sagte er bedeutungsvoll, und Friedrich hob erstaunt eine Augenbraue.
Der zog den Bogen zu sich heran und winkte einem Diener. »Mein Bruder soll sofort herkommen und der Kanzler! Und Otto von Wittelsbach.«
Nach und nach studierte er auch die anderen Zeichnungen, die von Meister Marchesi jeweils kommentiert wurden. Judith verstand nur, dass es sich um verschiedene Katapulte und um Schutzvorrichtungen vor fliegenden Steinen handelte, die Friedrich anscheinend gut gefielen.
Als die Berater des Kaisers eintrafen, schob er ihnen ohne ein Wort die Skizzen zu. Sie betrachteten den Meister neugierig und vertieften sich dann in seine Bilder.
»Elastische Faschinen aus Lederhäuten und Filz! Eine gute Idee«, lobte Otto von Wittelsbach.
»Seht hier, er baut Schirmdächer gegen die Steine. Kein Wunder, dass wir mit unseren Schleudern keinen großen Schaden anrichten konnten.« Der Kanzler klopfte auf ein Pergament, und die anderen nickten zustimmend.
»Was verlangt er?«, fragte Pfalzgraf Konrad.
Meister Marchesi antwortete in einem langen Wortschwall.
»Das klingt nach einer ganzen Menge«, stellte Judith hinter dem Vorhang leise fest.
Doch der Dolmetscher fasste die bescheidenen Wünsche in weniger Worten zusammen. »Er möchte Schutz vor den Einwohnern von Crema und Mailand und normalen Lohn für seine Arbeit.«
Wie geschickt von ihm, dachte Judith. Jeder, der den Kaiser gut genug kannte, wusste, dass er sehr viel großzügiger war, wenn er das Gefühl hatte, jemanden zu beschenken.
Sie hörte Friedrich zufrieden brummen. »Weist ihm eine Unterkunft bei unseren Handwerksmeistern an, kleidet ihn ein und gebt ihm einen fähigen Burschen, der sich um sein Wohl kümmert. Er soll gleich morgen anfangen. Und schickt mir den Schatzmeister.«
Als die Italiener draußen waren, sagte Friedrich zu seinem Kanzler: »Ganz traue ich ihm nicht. Such einen Burschen aus, der ihn im Auge behält. Er soll mir täglich Bericht erstatten.«
Zum Jahreswechsel ging es der Königin besser. Sie aß und trank wie früher und bekam langsam rosige Gesichtszüge. Sie spielte Dame gegen Judith und auch gegen den Kaiser, der sich viel Zeit für sie nahm. Oft kam Judith sich überflüssig vor und entschuldigte sich mit einer durchsichtigen Ausrede. Dann ritt sie zum Verwundetenzelt, wo es immer Beschäftigung gab und wo sie in Silas’ Nähe sein konnte.
»29. Januar im Jahre des Herrn 1160. Endlich, endlich ist ein Hoffnungsstreifen am Horizont. Vor acht Tagen gab es einen Generalangriff auf Crema. Friedrich und sein Bruder Konrad kämpften selbst in
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