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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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eine Pause machen?« Als er sah, dass der Verwundete nicht mehr atmete, seufzte er und drückte ihm mit geübtem Griff die Augen zu.
    »Das ist … war der Herzog von Burgund. Er brachte uns über die Alpen«, flüsterte sie.
    »Es tut mir leid. Ich wusste nicht …« Er legte ihr einen Arm um die Schultern. »Kann ich etwas tun?«
    »Schon gut. Lass mich einen Moment allein.« Sie schloss die Augen und faltete die Hände. »Pater noster, qui es in caelis …«
    Die Minuten verrannen, während sie betete und die gemeinsame Reise mit dem jungen Ritter noch einmal in ihren Gedanken durchlebte. Hier im Lager war sie ihm kaum begegnet. Er hatte sie vor Konrad beschützt, all die Zeit. Und sie hatte geglaubt, der Bischof hätte das Interesse an ihr verloren. Sacht deckte sie den Toten zu, wischte sich über das Gesicht und ging zu Silas, der sein krummes Messer an einem Stein schärfte. »Was hältst du von der Wunde?«
    Er sah nicht auf. »Na ja, wie schon gesagt …«
    »Ich meine die Stelle, an der sie sich befindet. Man hat ihn in den Rücken geschossen!«
    Er prüfte die Klinge mit dem Daumen. »Ihr denkt, jemand aus den eigenen Reihen?« Seine Stimme sank zu einem Flüstern.
    »Silas, der Herzog wusste von … du weißt schon, von dieser Geschichte. Und Bischof Konrad wusste, dass er es wusste.« Auch sie flüsterte.
    Silas pfiff durch die Zähne und stand auf. »Es kann nicht schaden, sich den Bolzen einmal anzuschauen.«
    Als die Dämmerung sich über die Zelte senkte, überließ Judith ihre Arbeit erschöpft einem der anderen Wundärzte. Während sie sich die Hände wusch, trat Silas an sie heran. »Nehmt das an Euch!« Er steckte ihr einen länglichen Gegenstand zu, der in ein Tuch gewickelt war. »Es ist kein italienischer Bolzen, sondern einer der unseren! Er könnte als Pfand für Eure Sicherheit dienen.«
    Sie nickte. Das Päckchen wog schwer an ihrem Gürtel. Vor dem Zelt schickte sie einen der Burschen nach ihrem Pferd. Die Schlacht tobte unvermindert, noch immer ohne sichtbaren Erfolg. Lediglich der Regen hatte aufgehört. Der Turm stand inzwischen auf der Rampe, frische Kämpfer strömten unten hinein und drängten die Leitern hinauf, während gleichzeitig Tote und Verletzte herausgetragen wurden. Den Geiseln, nun beinahe greifbar nahe für ihre Landsleute, hatte man Fackeln in die Hände gebunden. Die meisten von ihnen hingen starr in den Stricken. Jämmerlich wie Strohpuppen schaukelten sie an den Balken und beleuchteten unfreiwillig das schaurige Szenario. Tot waren sie gewiss nicht, Judith hatte von den Verwundeten im Zelt gehört, dass getötete Geiseln sofort gegen neue ausgetauscht wurden. Im obersten Geschoss brüllten Männer und klirrten Schwerter. Offenbar stand der Turm so dicht an der Mauer, dass bereits ein Nahkampf möglich war. Die Steinschleudern ruhten. Sie erkannte im letzten Tageslicht sowohl auf der Mauer als auch unten in der Ebene geborstene Hebelarme und zersplitterte Balken. Das gab wieder Arbeit für die Zimmerleute. Die Bedienmannschaften sammelten die herumliegenden großen Steinbrocken auf, immer auf der Hut vor den lauernden Bogenschützen.
    Von dort hörte sie ein gebrülltes Kommando, und einen Augenblick später flog ein dichter Schwarm von Brandpfeilen über die Ebene und beleuchtete die rückwärtigen Soldaten. Die meisten Geschosse blieben in den zerstörten Katapulten stecken, wo das Feuer hell aufloderte und die gesplitterten Balken in Brand setzte. Offensichtlich wollte man verhindern, dass die Maschinen repariert wurden. Sofort schrien die Männer nach Wasser und begannen hektisch mit Löschversuchen. Ein zweites Kommando und ein weiterer Hagel folgten. Diesmal sirrten Armbrustbolzen unsichtbar durch die einbrechende Nacht. Viele Soldaten wurden getroffen und fielen schreiend und röchelnd in den Schlamm.
    Judith wandte sich ab. Die Bader und Wundärzte würden weiter zu tun haben. Müde stieg sie in den Sattel ihrer Stute und ritt zu ihrer Unterkunft. Nach der Königin würde sie heute nicht mehr sehen, das könnte sie nicht ertragen. Eine Ausrede würde ihr schon einfallen.
    In ihrem Zelt fand sie ein paar kleine trockene Haferküchlein, die sie nebenbei aß, während sie die schmutzige Kleidung wechselte. Bei ihrem Vater hatte sie Licht gesehen. Sie griff nach dem Päckchen mit dem Bolzen und lief hinüber. Graf Ludwig saß am Tisch vor den Resten seines Abendessens und sah erschöpft aus. Über seine Wange lief ein blutiger Kratzer, seine Waffen und seine

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