Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
nicht recht, was zu tun sei, dann wurden sie jedoch immer schneller.
»Los, rennen wir!«, schrie Mondino vor ihm. Gerardo folgte ihm ohne zu zögern, so schnell es ihm sein von der Haft und der Folter geschwächter Körper erlaubte. Die drei Sbirren hingegen, die eine instinktive Furcht trieb, begingen den Fehler, ihre schmalen Schwerter zu ziehen. Darauf erhob sich aus der Menge ein undeutlicher Schrei, und einen Augenblick später hatten sich die wütenden Menschen bereits auf sie gestürzt. Gerardo hörte die Schmerzensrufe, während die Sbirren
im wahrsten Sinne des Wortes in Stücke gerissen wurden, und ballte die Fäuste, wandte sich jedoch nicht um. Selbst mit zwei gesunden Armen hätte er ihnen nicht helfen können, geschweige denn jetzt, wo sein linker ausgerenkt war. Mondino rannte in einigem Abstand und mit bis zu den Knöcheln gerafftem Talar vor ihm her. Bevor sie die Brücke über die Aposa erreichten, sahen sie zwei Gruppen von festlich gekleideten Leuten, die feierlich aufeinander zukamen. Gerardo erkannte, dass es sich um einen Hochzeitszug handelte. Die Braut kam von der linken Seite, zu Pferde, neben ihr die Eltern, dahinter ihre Verwandten. Der Bräutigam näherte sich von links; er ging zu Fuß, trug einen Falken auf dem Arm und wurde ebenfalls von Freunden und Verwandten begleitet. Wahrscheinlich sollte das Paar in der Kathedrale San Pietro heiraten und hatte geplant, sich auf dem Weg zum Mercato di Mezzo zu treffen und das letzte Stück Weges gemeinsam zurückzulegen. Bei aller Hast konnte Gerardo nicht umhin, die Schönheit der Braut zu bewundern: Sie war blond, in Weiß und Gold gekleidet und trug einen bestickten Schleier, der im leichten Wind flatterte. Das Zaumzeug ihres Pferdes war mit den gleichen Motiven verziert wie ihr Kleid.
Er sah, wie die Überraschung auf den Gesichtern der Leute in Furcht überging. Der Bräutigam ließ den Falken fliegen, der schnell in den blauen Himmel aufstieg, und zog sein Zierschwert; alle Männer des Zuges taten es ihm gleich. Mondino wich nach rechts aus, und Gerardo folgte ihm. Die Menge stürmte ohne zu zögern gegen die Schwerter, sei es, weil die Menschen auf ihre Überzahl vertrauten, oder aus selbstmörderischer Wut. Die beiden Gruppen prallten unter Schreien und dem Klirren von Metall gegen Metall aufeinander, ein Zeichen dafür, dass auch viele ihrer Verfolger ungeachtet des Verbotes bewaffnet waren. Gerardo hoffte nur, dass die Braut es noch rechtzeitig geschafft hatte, ihr Pferd zu wenden und im Galopp zu fliehen.
Selbst in der Eile ihrer Flucht hatte Mondino nicht vergessen, wohin sie unterwegs waren, und versuchte zweimal, die Richtung nach Santo Stefano einzuschlagen, aber bei beiden Gelegenheiten versperrten ihnen mit Stöcken bewaffnete Nachzügler den Weg, die noch zur Piazza unterwegs waren, weil sie das Spektakel dort nicht versäumen wollten. Schließlich wurden sie nach Süden, zur Kirche des heiligen Dominikus abgedrängt, dem letzten Ort, den Gerardo jetzt sehen wollte. Schon bei der Erinnerung an Uberto da Riminis fanatischen Blick krampfte sich ihm der Magen zusammen.
Auf einmal blieb Mondino stehen und drehte sich keuchend, eine Hand gegen die Seite gepresst, zu ihm um.
»Sind sie immer noch hinter uns her?«, fragte er atemlos.
Gerardo nickte stumm, er brachte kein Wort heraus. Ihre Verfolger waren zwar weniger geworden, da der Hauptteil wohl immer noch in die Auseinandersetzung mit dem Hochzeitszug verwickelt war, aber die Schreie kamen deutlich näher. Dem Lärm nach mussten es mindestens sechs oder sieben sein
- zu viele für zwei unbewaffnete Männer.
Außerdem zogen noch weitere brüllende und mit Knüppeln bewaffnete Gruppen durch die Straßen. Anscheinend hatte die Menge sich aufgeteilt und, anstatt auf der Piazza zu bleiben, hatte der Mob begonnen, seinen Zorn in der Stadt auszutoben. Von Zeit zu Zeit hörte man aus den Seitenstraßen Kampfgeräusche oder dass ein Edelmann beschimpft wurde, der es wagte, sich am Fenster zu zeigen. Hier und da erklang der Schrei: »Brot! Brot!« Alle Tore waren mittlerweile fest verrammelt.
Gerardo und Mondino befanden sich an einer hohen Einfassungsmauer ohne Toröffnungen. Dort konnten sie nicht stehen bleiben. Erschöpft nahmen sie ihren Weg wieder auf, bis sie die Rückseite der Basilika des heiligen Dominikus erreicht hatten. Dort schlüpften sie in eine dunkle Gasse zwischen zwei Häuserreihen
und konnten endlich ein wenig zu Atem kommen. Im gleichen Moment sah Gerardo
Weitere Kostenlose Bücher