Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
Tisch lagen. Mondino ergriff sie, blätterte in dem Buch und las hier und da ein paar Sätze; dann löste sich die Anspannung endlich etwas.
»O mein Gott«, sagte er leise.
Der Podestà und der Capitano del Popolo nickten beide. »Das haben wir ebenfalls gesagt, als der junge Mann uns diese Papiere gezeigt hat«, meinte Enrico Bernadazzi. »Wir haben ihm auf seine Anfrage hin diese Unterredung gewährt, weil wir glaubten, er wolle ein Geständnis ablegen. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie ungläubig und überrascht wir waren, als wir erfuhren, was wirklich geschehen war.«
»Das kann ich mir hingegen sehr gut vorstellen«, sagte Mondino, der noch vollkommen durcheinander war. Nachdem er sich ein wenig gefasst hatte, fügte er hinzu: »Das heißt also, dass ich nach Hause gehen kann?«
»Wir müssen Fiamma aufhalten!«, schrie Gerardo, der bis zu diesem Augenblick kein Wort gesagt hatte. »Sie wird sich umbringen!«
Der junge Mann war offensichtlich aufs Höchste erregt. Seine Augen glühten, und ständig zuckte er, als müsste er krampfhaft den Drang unterdrücken, aufzuspringen oder wegzulaufen. Nur sein linker Arm hing schlaff an seinem Körper herab.
»Warum glaubst du, dass sie sich umbringen will?«, fragte Mondino. »In dem Brief schreibt sie: ›Bald werde ich in meinem Grab liegen‹, aber sie sagt nicht, wo und auf welche Weise sie sterben wird.«
»Ich glaube, dass Gerardo aus Castelbretone Recht hat«, mischte sich der Capitano del Popolo ein. Mondino bemerkte, dass Gerardo ihm seinen wahren Namen genannt hatte, und war froh darüber. Eine Lüge weniger, die man aufrechterhalten musste. »Inzwischen hat die junge Frau ihre Rache vollzogen und die Beweise für ihre Schuld übergeben. Das kann nur heißen, dass sie bereits alles für ihre Flucht in die Wege geleitet hat, um sich der Strafe zu entziehen, entweder in ein anderes Land oder ins Jenseits.«
»Dann soll sie sich doch umbringen«, meinte Mondino kalt. Er empfand nicht das geringste Mitleid für diese Frau, die beinahe sein Leben zerstört hätte.
»Magister!«, rief Gerardo vorwurfsvoll aus. Anscheinend konnte er nur noch schreien.
Der Podestà hob eine Hand, um Mondino von einer verärgerten Antwort abzuhalten. »Das Tagebuch und der Brief sind ein schwerer Schuldbeweis«, sagte er laut über den Lärm hinweg. »Doch wenn Fiamma Sensi sich das Leben nimmt, bevor
sie gesteht, wird es wesentlich länger dauern, bis ich Euch freilassen kann.«
Mondino schwieg. Vom Platz hörte man den rhythmisch skandierten Schlachtruf: »Gebt-ihn-uns! Gebt-ihn-uns!«
»Dann holt sie eben«, sagte Mondino darauf. »Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.«
»Das versteht Ihr nicht?«, meinte der Capitano del Popolo, ging zum Fenster und schob den Vorhang beiseite. »Hier liegt das Problem.«
Mondino warf einen Blick aus dem Fenster und erschauderte. Von hier oben wirkte der Anblick der Massen beeindruckend. Die städtische Miliz stand in voller Rüstung vor dem Palazzo, aber sie wirkte ziemlich unerheblich im Verhältnis zu der Menge, die sich auf dem Platz zusammendrängte. Sicher hatte es bereits die ersten Verwundeten gegeben, und möglicherweise war schon jemand von der Menge erdrückt worden.
»Sie drohen, den Palazzo zu stürmen«, sagte Pantaleone Buzacarini und ließ den Leinenvorhang fallen. »Ich kann keinen einzigen Mann entbehren, um diese Frau zu holen. Außerdem wissen wir nicht einmal, wo sie sich aufhält.«
»Und was gedenkt Ihr zu tun, um die Menge zu zerstreuen?«, fragte Mondino.
»Um ernsthafte Zwischenfälle zu vermeiden, wäre es das Einfachste, diesen jungen Mann am Geländer des Balkons aufzuknüpfen«, sagte der Podestà. »Ein Unrecht, das leugne ich nicht, aber zum Wohle der Stadt.«
»Das meint Ihr doch nicht ernst!«, protestierte Mondino. Gerardo hatte sich ruckartig umgewandt, aber er sagte kein Wort, als missfiele ihm der Gedanke gar nicht so sehr. »Ein solcher Akt wäre nicht nur ein schweres Unrecht, sondern auch ein Rückschritt in der Verteidigung der Bürgerrechte.«
»Natürlich habe ich das nicht ernst gemeint«, erwiderte Enrico Bernadazzi, doch sein Blick strafte seine Worte Lügen.
»Allerdings bleibt das Problem bestehen. Jeden Augenblick kann man über uns herfallen, und wir können niemanden schicken, um Fiamma Sensi gefangen zu nehmen. Außerdem würde es den Wachen derzeit kaum gelingen, unversehrt durch die Menge zu kommen.«
»Dann werden wir gehen!«, rief Gerardo.
»Und wohin?«
»Um
Weitere Kostenlose Bücher