Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
quadratischen Tisch saßen. Uberto schritt mit seinen Sandalen über das feuchte Stroh, das den Boden bedeckte, und ging auf den Wirt zu, einen Mann mit breiten Schultern und Schenkeln wie Baumstämme. Er ließ sich von ihm erklären, wo Guidos Zimmer war, und stieg, gefolgt von den beiden Mönchen, die Treppe hinauf.
Er wies sie an, vor der Tür auf ihn zu warten, und betrat allein den Raum. Angeblich, um ihnen den Anblick eines zum Tier verkommenen Mannes zu ersparen. Doch eigentlich wollte er, obwohl er beiden vertraute, lieber keine Zeugen bei seiner Unterredung mit Guido haben.
Als Erstes öffnete Uberto das schmale Fenster und ließ Luft und Licht herein. Der untersetzte Mann, der auf dem breiten Bett unter einem Tuch aus dünnem Seidenstoff lag, protestierte laut fluchend.
»Ich bin es, Guido«, sagte der Inquisitor nur.
Die Wirkung war verblüffend: Guido Arlotti setzte sich schlagartig auf, riss die Augen auf und stotterte mit rauer Stimme: »Ihr? Aber wie …«
»Ich kann nicht länger warten, Guido«, fertigte ihn Uberto ab. »Enttäusch mich nicht. Hast du etwas Nützliches herausgefunden?«
»Mein Kopf schmerzt«, jammerte Arlotti. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht in dem krampfhaften Bemühen, seinen klaren Verstand wiederzufinden, den der Wein ihm geraubt hatte. Als er den Inquisitor wieder ansah, lächelte er. Möglicherweise zog er aber auch nur eine Grimasse wegen seiner Kopfschmerzen.
»Ich habe die Totengräber gefunden«, sagte er dann. »Sie haben die Leiche in einem Massengrab beerdigt. Ich habe sie dafür bezahlt, dass sie sie wieder ausgraben, und dabei etwas sehr Interessantes entdeckt.«
»Was?«
»Der Tote hatte eine Naht auf der Brust. Ich habe sie geöffnet und nur einen Hohlraum gefunden. Dieser Mann hatte kein Herz mehr.«
Uberto musste sich zwingen, um äußerlich gleichgültig zu bleiben. Nach dem Auffinden des deutschen Tempelritters mit einem Herz aus Eisen in der Brust kam ein solches Detail beinahe einer Anklage gleich. Mondino würde vieles erklären müssen. Auf die eine oder andere Weise war sein Schicksal besiegelt.
»Weißt du, was passieren kann, wenn dich jemand erkennt?«, fragte Mondino wohl zum hundertsten Mal.
Gerardo zuckte nur wortlos mit den Schultern. An dem Ort, zu dem sie unterwegs waren, war das ziemlich unwahrscheinlich, und der Arzt wusste das auch.
Gerardo respektierte seinen Lehrer, aber er nahm keine Anweisungen von ihm entgegen. Als Mondino versucht hatte, ihn davon zu überzeugen, er solle nach Hause zurückkehren, und versprochen hatte, ihm am folgenden Tag alles zu erzählen, hatte Gerardo erwidert, er denke gar nicht daran und war mit ihm zusammen losgezogen.
»Versprich mir zumindest, dass du dich nicht vom Zorn fortreißen lässt«, fing Mondino wieder an.
»Ich kann nichts versprechen.«
Mondino blieb auf der Stelle stehen, drehte sich um und betrachtete seinen ehemaligen Schüler im Dämmerlicht des Sonnenuntergangs. Er ließ vier Frauen aus dem Volk vorbei, die eng aneinendergedrängt, mit gesenktem Kopf und zusammengepressten Lippen vorwärtsliefen, um jeden männlichen Annäherungsversuch zu vermeiden. Als die Passantinnen außer Hörweite waren, sagte er wütend: »Dann lassen wir es sein. Ich bin ja durchaus bereit, Risiken einzugehen, aber nur unter der Bedingung, dass sie nicht dumm sind.«
Gerardo seufzte tief. Dennoch musste er zugeben, dass der Arzt nicht ganz Unrecht hatte. Es war nicht angebracht, die Risiken, die eine an sich bereits gefährliche Situation mit sich brachte, noch zu erhöhen. Nur weil er diesen Kerl am liebsten würgen würde, bis er bereute, jemals geboren zu sein, durfte er seiner Wut noch lange nicht Luft machen.
»Ich verspreche es«, sagte Gerardo seufzend. »Ich werde nur tun, was Ihr mir sagt, und werde mich nicht vom Zorn mitreißen lassen. Können wir nun weitergehen?«
Sie bogen in das Viertel San Giacomo ein. Kurz darauf standen sie vor dem Tor des Konvents. Mondino klopfte, nannte seinen Namen und erklärte, Pater Francesco erwarte ihn. Der Mönch schloss das Fensterchen und öffnete die Tür, um sie einzulassen. Im Flur erwartete sie schon Vater Paolo, der Baumeister von San Giacomo Maggiore, und lächelte breit hinter
seinem langen grauen Bart. Er teilte ihnen mit, dass die Mönche jetzt leider beim Abendessen säßen und der Prior deshalb nicht selbst kommen könnte, um einen so bedeutenden Arzt wie Mondino zu begrüßen.
»Wenn Ihr Euch uns anschließen wollt, würden
Weitere Kostenlose Bücher