Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
nicht geizig zu wirken, bot er beiden jungen Männern Wein aus seinem Krug an, die in großen Schlucken daraus tranken und es ihm mit einem frechen Lied dankten, in dem es um einen Quacksalber ging und in dem nach jeder Strophe der berühmte Satz Avicennas wiederholt wurde: »Ein unwissender Arzt ist der Statthalter des Todes.«
Kurz darauf zahlte Mondino seinen Wein und machte sich auf den Heimweg. Mit Einbruch der Dunkelheit war es kälter geworden, und sein pelzverbrämter Umhang kam ihm jetzt sogar zu dünn vor. Die Straßen waren menschenleer, und seine Schritte erzeugten auf dem schlammigen Untergrund der Straße ein leises, schmatzendes Geräusch. Plötzlich warf Mondino die Kapuze des Umhangs zurück und drehte sich um. Er hatte geglaubt, Schritte hinter sich zu hören, aber er musste sich wohl geirrt haben. Hinter ihm war niemand.
Er blieb eine Weile stehen und lauschte, während sein Herz unwillkürlich aufgeregt zu schlagen begann; dann setzte er seinen Weg fort, wobei er auf die Straßenmitte wechselte und die Schatten unter den Arkaden im Auge behielt.
Die ausgestandene Angst und die Dunkelheit riefen ihm in Erinnerung, was er am vergangenen Abend getan hatte. Das Bewusstsein, Filomena getötet zu haben, hatte ihn die ganze Zeit über nie völlig verlassen, aber während und nach dem Gespräch mit dem Inquisitor war er zu sehr von anderen Sorgen abgelenkt, um daran zu denken.
Als er so durch die Dunkelheit schritt, hatte Mondino plötzlich wieder vor Augen, wie er das Chirurgenmesser in der Kehle der alten Frau versenkte, und er durchlebte noch einmal das Gefühl, wie die Klinge das Fleisch durchteilte, ein Fleisch, das wesentlich widerstandsfähiger und elastischer war als das von Leichen.
Diese Frau war böse gewesen und hatte den Tod verdient, aber er wäre lieber nicht ihr Henker gewesen. Andererseits wäre er selbst umgekommen, wenn er nicht den ersten Schritt gemacht hätte, und Filomena hätte bestimmt keine Gewissensbisse gehabt, seinen Körper zu zerstückeln und ihn den Hunden zum Fraß vorzuwerfen, um die Spuren des Mordes zu beseitigen.
Seufzend machte sich Mondino daran, ganz leise ein requiescat in pace für Filomenas Seele zu beten, obwohl er bezweifelte, dass dieses Gebet an dem Ort, wo sie sich nun befand, irgendetwas ausrichten konnte.
Als er von der Via San Vitale in die Seitenstraße einbog, in der er wohnte, und die erleuchteten Fenster sah, dachte der Arzt erst, er hätte sich geirrt. Um diese Zeit brannten hier sonst keine Lampen; sein Vater und seine Kinder hätten eigentlich längst zu Bett gegangen sein müssen. Er näherte sich der Haustür und bemerkte, dass sie nicht verriegelt war. Besorgt nahm er sich vor, Pietro und Lorenza zu ermahnen, die vor dem Schlafengehen die Aufgabe hatten, die Lichter zu löschen und alle Türen zu verriegeln. Dann durchquerte er den kleinen Hof, der zur Küche führte. Das Herdfeuer brannte, aber dort war niemand.
Mondino betrat das große Zimmer und entdeckte dort die beiden Dienstboten über das unter dem Fenster stehende große Kohlebecken gebeugt. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, betrat Liuzzo durch eine zweite Tür den Raum und ließ ihn nicht einmal zu Wort kommen: »Wo bist du, wenn man dich braucht? Wir haben überall nach dir suchen lassen. Deinem Vater ging es schlecht, und deine Kinder wussten nicht, was sie tun sollten. Gabardino ist schließlich zu mir nach Hause gekommen, um mich zu holen, und ich bin sofort hierhergeeilt.«
Mondino bemerkte, wie er blass wurde. »Oh Gott, ist es ernst? Ich will ihn sehen.«
Gefolgt von seinem Onkel ging er ins Zimmer seines Vaters. Die Vorhänge am Himmelbett waren geöffnet, und seine drei Söhne umstanden ihren Großvater schweigend. Mondino nickte ihnen kurz zu und erntete feindliche Blicke. Der alte Rainerio schlief, und er wollte ihn nicht aufwecken. Doch die gelbliche Hautfarbe und der leichte Schweißfilm auf seinem Gesicht zeigten deutlich, dass sein Zustand sich verschlechtert hatte. Er atmete mühsam, und der unter dem Laken verborgene Körper wirkte noch magerer. Mondino kniete sich neben das Bett, legte den Kopf auf die Matratze und weinte stumm, mit geschlossenen Augen. Niemand sagte etwas, und für eine Weile war im Zimmer nichts als der rasselnde Atem des alten Mannes zu hören.
Als er sich beruhigt hatte, sprach Mondino ein Gebet, dann öffnete er die Augen und stand auf. Mit einer Kopfbewegung forderte er Liuzzo auf, ihm zu folgen, und verließ den Raum. Die beiden
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