Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
jüngeren Söhne kamen ihm nach; nur Gabardino blieb zurück, um über seinen Großvater zu wachen. Im Flur hielt Mondino kurz vor dem aufrecht stehenden Hochwebstuhl inne, der seit dem Tod seiner Frau mit einem Leinentuch verdeckt war, da ihn niemand mehr benutzte. Nun holte sich der Tod also sein zweites Opfer in diesem Haus. Mondino schüttelte stumm den Kopf und setzte seinen Weg fort.
Sie kehrten in das große Zimmer zurück. Mondino schickte die beiden Kinder zu Bett. Ludovico wies er an, zur Matutin aufzustehen und Gabardino am Bett des alten Mannes abzulösen. Und Leone mahnte er, den Bruder ab den Laudes zu ersetzen.
Er lehnte Lorenzas Angebot ab, ihm etwas zu essen zu machen, und schickte sie und ihren Mann ebenfalls schlafen. Wenigstens war ihre kleine Tochter durch die Unruhe im Haus nicht aufgewacht.
Als sie allein waren, fragte er Liuzzo, was er seinem Vater gegeben hätte.
Der alte Arzt sagte achselzuckend: »Den üblichen Aufguss aus Ysop und Bilsenkraut, um das Abhusten zu erleichtern und die Schmerzen zu lindern. Nur habe ich diesmal die Dosis Bilsenkraut verdoppelt, damit er ein wenig Schlaf findet.«
»Habt Ihr die Auflage mit den heißen Steinen ausgesetzt?«
»Nur, solange er schläft. Danach sollen sie die Therapie fortsetzen. Ich weiß, dass sie eigentlich sinnlos ist, doch Rainerio scheint dadurch Erleichterung zu verspüren, und deine Kinder haben das Gefühl, dass sie sich nützlich machen können.«
Mondino nickte. Die Auflage von heißen Steinen trocknete manchmal den Überschuss an schwarzer Galle aus, der zu Tumoren führte, und brachte die Körpersäfte ins Gleichgewicht, was eine Heilung des Patienten ermöglichte. Doch dies gelang nur im Anfangsstadium einer Krankheit. Inzwischen war Rainerio in Gottes Hand.
»Glaubt Ihr, es ist an der Zeit, den Pfarrer zu rufen?«
»Nein. Die Kirche Sant’ Antonino ist gleich nebenan, und sollten sich die Ereignisse überstürzen, würde es nicht lange dauern, bis jemand von ihnen hier wäre. Doch du kannst nicht einfach weiterhin verschwinden, ohne dass jemand weiß, wo du bist.« Liuzzos Blick war streng, während er sich dem großen Esstisch in der Mitte des Raumes näherte. Er machte allerdings keine Anstalten, sich zu setzen, sondern stützte sich mit zu Fäusten geballten Händen auf die Holzplatte und sagte: »Jetzt sag mir endlich, wo du heute den ganzen Tag gewesen bist.«
Nun war der Moment, den Mondino gefürchtet hatte, gekommen. Liuzzo würde sich nicht mit vagen Erklärungen abspeisen lassen, doch er konnte ihn auf keinen Fall in seine Schwierigkeiten hineinziehen.
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete Mondino seufzend. Er hatte weder Lust noch die Kraft, sich eine Lüge auszudenken.
Liuzzo machte zwei schnelle Schritte auf das Kohlenbecken zu, das an der Wand unter dem Fenster mit den verriegelten Läden stand, und beugte sich hinunter, als wollte er es hochheben und gegen ihn schleudern. Doch dies war natürlich nicht seine Absicht. Er sah nach, ob der Ziegelstein, den die beiden Dienstboten dort zum Erhitzen hineingelegt hatten, ausreichend mit Glut bedeckt war; dann richtete er sich auf und sagte: »Ich habe nicht vor, in meiner Medizinschule einen Teilhaber zu behalten, der ständig etwas vor mir verbirgt.« Er hob die Hand, um den Widerspruch seines Neffen zu unterbinden. »Leugne das nicht«, meinte er gereizt. »Zuerst verlässt du unter fadenscheinigen Ausreden den Doktorschmaus. Dann verschwindest du jeden Tag über mehrere Stunden, ohne dass irgendjemand weiß, wo du zu finden bist. Und jetzt kommst du erst nachts nach Haus. Hältst du mich etwa für dumm?«
»Nein Onkel, das tue ich keineswegs. Ihr habt Recht zu denken, dass ich etwas vor Euch verheimliche, aber ich kann wirklich nicht mit Euch darüber sprechen.«
Liuzzo seufzte und kehrte zum Tisch zurück. Er sah ihn teils besorgt, teils verzweifelt an. »Während wir heute Abend nach dir suchen ließen«, sagte er, »hat uns jemand gesagt, er habe einen Mann mit einem Ärztetalar aus der Kirche San Domenico kommen sehen. Einen großen, dünnen Mann, der ziemlich beunruhigt wirkte. Warst du das?«
»Ja.«
»Was zum Teufel hattest du bei den Dominikanern zu suchen? Und erzähl mir jetzt bitte nicht, du hättest dort einen Kranken besucht.«
»Nein, Onkel, ich habe dort keinen Kranken besucht.«
»Warst du dort, um mit dem Inquisitor zu sprechen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich hatte als Erster die Leiche dieses deutschen Tempelritters untersucht, der
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