Das Geheimnis der Alchimistin - Historischer Kriminalroman
zu.
Seinem Instinkt folgend, stürzte sich Gerardo auf den Mann,
der ihm am nächsten stand, und packte ihn mit einer Hand am Hals, wie er es so oft bei seinen Waffenübungen getan hatte. Diesmal tat er jedoch nicht nur so, als würde er jemandem die Kehle durchschneiden, sondern er versenkte seinen Dolch tatsächlich im Fleisch des Angreifers.
Als der Mann mit einem schrecklichen Schrei in sich zusammensank, wandte sich sein Komplize um. Er hatte gerade einen Pfeil auf eine Gestalt abgeschossen, die etwa ein Dutzend Schritt entfernt in der Dunkelheit kauerte. Als er Gerardo sah, begriff er augenblicklich, dass ihm nicht genug Zeit blieb, um die Armbrust wieder zu laden. Deshalb schlug er sie Gerardo blitzschnell ins Gesicht und zog das Schwert an seiner Seite.
Gerardo wich rechtzeitig aus, deshalb streifte ihn die Armbrust nur an der Schulter. Trotzdem begriff er, dass er sterben würde: Sein Gegner war kräftiger, größer und hatte ein Schwert, er nur einen Dolch.
Andererseits hatte er jedoch nichts mehr zu verlieren. Deshalb brauchte er keine Angst mehr zu haben.
Er beobachtete seinen Feind, ohne sich von einem vagen Geräusch hinter ihm ablenken zu lassen, das er im Moment nicht zuordnen konnte.
Plötzlich setzte sein Gegner einen Fuß auf einen lockeren Stein. Er verlor nicht das Gleichgewicht, verlagerte aber seinen Arm mit dem Schwert nach außen, und das auch nur für einen Augenblick.
Noch bevor er die mangelnde Deckung wirklich sah, hatte Gerardo seine Bewegung bereits erahnt, war vorgestoßen und rammte ihm den Dolch unterhalb der Rippen in den Körper, während er mit der freien Hand das Gelenk seines Schwertarms festhielt. Der Mann fiel auf die Knie. Noch bevor Gerardo sich fragen konnte, ob er ihn töten oder am Leben lassen sollte, fuhr ein Schwert auf die Stirn des Armbrustschützen nieder und spaltete sie in zwei Teile.
Gerardo drehte sich ruckartig um und sah Hugues de Narbonne vor sich. Blut klebte in seinen lockigen Haaren, und sein Blick wirkte verwirrt. Er hielt das Schwert des Mannes in der Hand, dem er gerade die Kehle durchgeschnitten hatte.
»Sehr gut, mein Junge«, sagte er, »ausgezeichnete Arbeit.«
Doch seine Stimme klang nicht wie sonst, sondern als käme sie aus weiter Ferne.
»Geht es Euch gut, Kommandant?«, fragte Gerardo, während Hugues das Schwert ablegte und sich hinunterbeugte, um die Armbrust und die Pfeile des Toten aufzuheben.
»Nein, ganz und gar nicht«, antwortete er. »Schau nach, wer da unten ist«, sagte er und zeigte auf eine undeutliche Gestalt, die dort stöhnend im Dunkel lag, »Und dann erledige ihn. Ich werde inzwischen unsere Freunde gebührend empfangen.«
Erst da bemerkte Gerardo, dass die Geräusche hinter ihm von den Bettlern ausgingen, die gerade aus dem Gang kamen. Hugues lud die Armbrust. Vor Anstrengung biss er die Zähne zusammen. Endlich schoss er einen Pfeil ab, und der erste Bettler, der durch den Spalt im Boden kam, fiel mit einem Schrei nach hinten.
In dem eingestürzten Haus wurde es wieder still.
Gerardo eilte zu der Gestalt im Dunklen neben dem Eingang des Hauses zu. Das mit Rädern versehene Brett und die gelähmten Beine erkannte er sofort. Es war der verkrüppelte Junge, Bonaga. In seiner Schulter steckte ein Pfeil und ein zweiter in seinem Bauch. Er lebte zwar noch, aber es sprach nicht viel dafür, dass er durchkam. Der Kleine weinte und stöhnte unterdrückt, dabei hielt er die Schleuder immer noch fest in seiner Hand. Als er Gerardo sah, versuchte er krampfhaft, etwas zu sagen, aber Gerardo legte ihm den Finger auf die Lippen.
»Danke für deine Hilfe«, meinte er. »Keine Sorge, wir bringen dich von hier weg.«
Er holte den Karren aus der Dunkelheit und überlegte, ob er den Jungen bis zu Mondinos Haus auf den Armen tragen konnte, ohne dass ihn die Bettler einholten.
»Ich habe dich verraten«, stammelte Bonaga schließlich ganz leise. Er lächelte schwach. »Aber dann habe ich es bereut. Ich wusste doch nicht, dass sie dich töten wollten.«
Er wollte noch etwas hinzufügen, als sein Lächeln in einen Ausdruck des Entsetzens überging. Gerardo drehte sich ruckartig um, aber nicht schnell genug, um die Klinge aufzuhalten, die auf die Stirn des Jungen niederfuhr und ihm den Kopf spaltete wie eben noch dem Armbrustschützen.
»Nein, Kommandant!«, schrie er beinahe unter Tränen. »Er hat uns gerettet.«
»Und was hattest du vor, wolltest du ihn etwa lebend der Rotte überlassen, die sich hier gleich tummeln
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