Das Geheimnis der Apothekerin
hämmerte bei dem Gedanken.
»Lilly«, drängte er mit heiserer Stimme. »Sag mir, dass es nicht zu spät für uns ist. Dass du und Dr. Graves nicht …«
Hinter ihnen öffnete sich die Tür und Lilly entzog sich ihm.
Im Türrahmen stand Dr. Graves, die Hand an der Klinke. Zuerst wirkte er völlig verblüfft, dann wurde sein Ausdruck streng. »Ich bin gekommen, um nachzusehen, wie es Ihnen und Ihrem Vater geht, aber ich sehe, dass ich störe.« Mit stumpfem Blick wollte er das Zimmer verlassen.
»Aber nein, Dr. Graves, bitte, kommen Sie doch herein! Ich habe Mr Baylor nur den Walzer gezeigt.«
Er starrte sie an, warf Francis einen Blick zu und sah ihr dann kühl in die Augen. »Halten Sie das für korrekt, Miss Haswell?«
Den Tanz oder den Partner , dachte Lilly. »Verzeihen Sie uns, Dr. Graves. Francis und ich sind praktisch zusammen aufgewachsen, da besteht nur allzu leicht die Gefahr, in frühere Verhaltensweisen zurückzufallen.«
Er starrte sie noch einen Augenblick an und räusperte sich dann. »Das sehe ich. Nun gut.« Er verbeugte sich steif. »Guten Abend.«
Francis schien er nicht in seinen Gruß einzuschließen.
»Dr. Graves, Sie brauchen wirklich nicht zu gehen«, beharrte Lilly.
»Miss Haswell hat nichts Unrechtes getan.« Francis deutete verlegen von ihr auf sich. »Es ist allein meine Schuld.«
»Nein, Francis«, sagte Lilly. »Ich war gedankenlos. Sie müssen mir beide verzeihen.«
Von unten rief ihr Vater: »Lilly? Ist alles in Ordnung?«
Lilly verzog das Gesicht. »Wir haben ihn aufgeweckt.«
Dr. Graves sagte eisig: »Ich gehe und schaue nach ihm. Wenn Sie nichts dagegen haben.« Er spießte Francis mit seinem Blick förmlich auf.
»Ach ja, bitte, tun Sie das, Dr. Graves«, sagte Lilly rasch. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie an ihn gedacht haben. Ich danke Ihnen.«
Graves nickte und drehte sich auf dem Absatz um. Sobald er das Zimmer verlassen hatte, wandte Lilly sich zu Francis. Sie war zerknirscht, aber sie ärgerte sich auch. »Francis«, flüsterte sie kurz, »ich hätte das nicht zulassen dürfen. Ich weiß nicht, warum ich es gemacht habe.«
»Weil du etwas für mich empfindest, Lilly. Ich weiß, dass du das tust.«
Sie stieß die Luft aus. »Natürlich tue ich das. Aber nicht das, was du dir wünschst. Francis, bitte, versteh mich doch. Ich möchte nicht das Leben, das du hast. Ich möchte mein Leben nicht in einer Apotheke verbringen. Das wollte ich noch nie.«
Er fuhr sich durch das dichte, braune Haar. »Aber es ist alles, was ich kann. Was ich können möchte . Willst du, dass ich es aufgebe?«
»Nein. Bleib dabei. Aber alles, was ich will, ist, meinem Vater zu helfen, dass er wieder gesund wird, alles in Ordnung zu bringen und es dann wieder ihm zu überlassen.«
»Aber ich habe dich doch erlebt, Lilly, wie du Menschen hilfst, wie du ihre Schmerzen linderst … Ich weiß, dass dir das genauso viel Befriedigung schenkt wie mir.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das siehst du falsch. Ich habe getan, was ich tun musste, aber ich habe keine Freude daran. Ich möchte überhaupt keinen Beruf haben. Schließlich bin ich eine Frau.«
Er zuckte zusammen. »Dessen bin ich mir bewusst. Schmerzlich bewusst. Aber die Lilly Haswell, die ich kenne, würde ihr Geschlecht niemals so herabwürdigen.«
»Diese Lilly Haswell gibt es nicht mehr«, sagte sie. Es klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
Seine Augen glänzten vor Kummer und Zorn. »Das tut mir leid zu hören.« Er nahm seinen Hut. »Ich werde Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Guten Abend, Miss Haswell.«
Die förmliche Anrede klang geradezu höhnisch und verursachte ihr einen unerwarteten, scharfen Schmerz.
42
Hiermit mache ich, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und im Wissen um meinen Tod, in dem ich in meine lang ersehnte Heimat berufen werde, mein Testament …
William Phillips, Gentleman, 1786
Francis öffnete die Küchentür. Er wollte kurz bei Mary hineinschauen und hoffte, sich gleichzeitig bei Lilly, die morgens oft bei ihrer Freundin war, entschuldigen zu können.
Er hatte schon gefürchtet, alle Hoffnung aufgeben zu müssen, als Dr. Graves nach Bedsley Priors kam. Doch die Wochen vergingen und es wurde keine Verlobung bekannt gegeben und so hatte er sich zaghaft erlaubt zu hoffen, dass er noch eine Chance bei Lilly hätte. Nach ihrer letzten Begegnung allerdings war er fast froh, dass er das Dorf jetzt bald verlassen würde.
Mary stand wie immer an ihrem Arbeitstisch, aber
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