Das Geheimnis der Apothekerin
mit Ihnen tanzen zu dürfen, Sir«, sagte sie. Ein Anwinkeln des Ellbogens sorgte dafür, dass der »Gentleman« mit dem Bürstenhaarschnitt sich vor ihr verbeugte. Dann nahm Lilly ihren steckendürren Partner in beide Hände und tanzte anmutig mit ihm durch den Raum, wobei sie sich um sich selbst drehte.
Mary, die sich auf ihren Schrubber gestützt hatte, musste lachen und schüttelte den Kopf. »Die große Dame, frisch aus Londons Salons importiert …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. »Diesen Tanz habe ich noch nie gesehen.«
»Das ist der gefürchtete Walzer.«
»Nein«, keuchte Mary in gespieltem Entsetzen, »doch nicht dieser skandalöse Tanz, der in allen Zeitungen in Grund und Boden verdammt wird.«
Lilly blieb stehen und lehnte ihren Schrubber an die Wand. »Ebender. Soll ich ihn dir beibringen?«
»Niemals«, sagte Mary geziert. »Ich bin viel zu anständig für eine solche Verruchtheit.«
Lilly hob eine Braue. »Die Mary Mimpurse, die dem Cricketteam heimlich beim Schwimmen im Owensteich zugesehen hat? Das glaube ich nicht.«
Sie nahm Mary den Schrubber aus der Hand und stellte ihn neben ihren, fasste sie um die Taille und zog und drehte sie durch den Raum, bis sie beinahe mit den gestapelten Stühlen zusammenstießen.
»Bitte, Lilly, hör auf«, keuchte Mary, »mir wird schwindelig.«
Lilly blieb abrupt stehen und hielt Mary fest, während ihre Freundin versuchte, das Gleichgewicht wiederzugewinnen und wieder zu Atem zu kommen. »Geht es dir gut?«, fragte sie besorgt.
Mary, die immer noch keuchte, antwortete: »Ich bekomme keinen Anfall, wenn du das meinst. Höchstens einen Schweißausbruch.«
Beruhigt ließ Lilly sie los.
»Dieser Tanz wird in Wilcot nicht getanzt werden, dass kann ich dir versichern«, sagte Mary und steckte sich eine Haarnadel fest, die sich bei den wilden Drehungen gelöst hatte.
»Trotzdem, ich freue mich wie verrückt auf die Tanzveranstaltung.« Lilly nahm ihren Schrubber und steckte ihn in den Korb am Herd. Sie warf Mary einen Blick zu. »Und ich kenne einen gewissen Wundarzt und Apotheker, der sich schon darauf freut, mit dir zu tanzen.«
Mary wollte nicht zeigen, dass sie glücklich lächeln musste. »Ich muss gestehen, ich hege da selbst eine gewisse freudige Erwartung.«
Nach den schlimmen Tagen von Charlies Haft freuten sich jetzt alle auf das Herbstfest in Wilcot, zu dem traditionell ein Jahrmarkt und eine Tanzveranstaltung gehörten. Lilly und Mary wollten zusammen mit Charlie, Dr. Graves und Mr Shuttleworth hingehen und sicher würden auch Francis und Dorothea Robbins dort sein.
Am Samstag wachte ihr Vater mit Fieber auf und Lilly fühlte sich verpflichtet, bei ihm zu bleiben.
»Dann gehe ich auch nicht«, sagte Mary und wirkte völlig niedergeschmettert wegen dieser Aussicht.
»Und überlässt alle Tanzpartner einfach Miss Robbins? Das darf nicht sein. Du weißt, dass Mr Shuttleworth und Charlie furchtbar enttäuscht sein werden, wenn du nicht mitgehst.«
Mary lächelte. »Ja, das stimmt, das wären sie.«
»Siehst du. Jetzt geh und tanz, bis dir die Füße abfallen, meine Schöne. Du hast es dir wirklich verdient.«
Marys Augen leuchteten schalkhaft. »In dieser Hinsicht ist deine Abwesenheit sehr vorteilhaft für mich, oder?«
»Oh!« Lilly winkte damenhaft ab. »Ich sehe schon, wie sehr ich vermisst werde.«
Am Nachmittag kam Dr. Graves und verordnete Fieberpulver, Tropfen und Bettruhe. Er war sehr enttäuscht, als er hörte, dass Lilly nicht nach Wilcot auf den Markt kommen würde. »Ich würde auch nicht hingehen«, sagte er verlegen, »aber Dr. Foster verlangt es von mir. Er meint, ich solle versuchen, potenzielle Patienten kennenzulernen. Aber ich werde auf keinen Fall tanzen, Miss Haswell, darauf können Sie sich verlassen.«
»Darauf möchte ich mich aber gar nicht verlassen können! Ich hoffe doch sehr, dass Sie tanzen werden, vor allem, da die Herren ganz bestimmt in der Minderzahl sind und die Damen deshalb dringend Tanzpartner brauchen.«
Dann dachte sie an ihren eigenen ersten Tanz mit Dr. Graves und konnte nur hoffen, dass keine der anwesenden Damen eine solche Prozedur über sich ergehen lassen musste.
Er sagte ruhig: »Ich bin nicht hierhergekommen, um mit anderen Frauen zu tanzen, Miss Haswell.«
Sie lächelte ihn schüchtern an. »Es genügt schon, wenn Sie es nicht übermäßig genießen ohne mich.«
Er lächelte. »Wann hätte ich das je getan?«
Lilly sah von dem Buch, das sie las, zur Wohnzimmeruhr auf. Zwei
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