Das Geheimnis der Apothekerin
mich richtig erinnere, hat dein Onkel sie gekauft.«
»Gekauft? Von wem?«
Die ältere Frau starrte die Halskette an, als enthielte sie die Antwort. Ihr Gesicht verriet Konzentration. »Ich glaube, er sagte, er habe sie auf einer Auktion ersteigert. Aber ich weiß nicht mehr, wo.«
»Auf einer Auktion?« Konnte das wirklich sein? Lilly vermochte kaum an einen solchen Zufall zu glauben. Es sei denn, ihr Onkel hatte auf das Stück geboten, weil er es ebenfalls erkannt hatte. »Wann war das? Wie lange ist es her?«
»Da musst du deinen Onkel fragen. Ich meine, das Stück liegt schon mehrere Jahre hier. Ich habe es nie getragen. Ich weiß auch nicht, was ihn bewogen hat, es zu kaufen, aber ich hatte nie das Herz, ihm zu sagen, dass es mir nicht gefällt.«
Ihre Tante legte ihr die Hände auf die Schultern; ihr Gesicht verriet tiefe Besorgnis. »Was hast du denn, Lillian? Warum willst du das überhaupt wissen?«
Es lag ihr auf der Zunge zu sagen: Es hat meiner Mutter gehört , aber sie sagte es nicht. Warum sollte sie es ihrer Tante erzählen, wenn ihr Onkel ihr nichts davon gesagt hatte? Vielleicht hatte er ja seine Gründe dafür. Lilly schluckte schwer. »Es ist ein ungewöhnliches Stück, da hast du recht. Ich werde Onkel fragen.«
»Aber …«
»Verzeih mir, aber ich muss mich beeilen, sonst schaffe ich es nicht, mich zum Dinner umzukleiden.«
»Nun gut, Liebes.«
Doch sie spürte, wie die Sorge ihrer Tante sie aus dem Ankleidezimmer begleitete.
Als sie an diesem Abend zusammen am Tisch saßen und in höflichem Schweigen ihre Frühlingssuppe löffelten, sprach ihre Tante das Thema an.
»Mein Lieber, Lillian möchte dich etwas fragen über eine Kette, die sie in meinem Schmuckkästchen gesehen hat.«
»Ja? Welche denn?«
»Das ungewöhnliche schwarze Stück mit dem Onyxanhänger.«
Ihr Onkel wirkte verstört, er starrte auf das Tischtuch, aber offenbar, ohne etwas zu sehen. Oder bildete sie sich das nur ein?
»Ich habe leider nicht jedes deiner Kinkerlitzchen im Kopf, meine Liebe.«
»Natürlich nicht. Aber an dieses Stück müsstest du dich erinnern. Eine zarte Kette mit einem achteckigen schwarzen Onyxanhänger. Ich glaube, du hast gesagt, dass du es vor einigen Jahren auf einer Auktion ersteigert hast.«
»Habe ich das?« Er legte klirrend den Löffel hin und ließ sich schwer gegen die Stuhllehne sinken. »Lass uns doch bitte diese Mahlzeit in Ruhe beenden und dann zeigst du mir das Ding, einverstanden?«
Ihre Tante wirkte leicht erstaunt. »Natürlich.«
Nach dem Dinner verschwanden die Elliotts im Zimmer ihrer Tante. Lilly ging ebenfalls auf ihr Zimmer und wartete dort voller Sorge. Sie dachte an den Tag, an dem ihre Mutter verschwunden war. Als sie nach Hause gekommen war, war ihr Vater rastlos im Zimmer auf und ab gegangen. Charlie hatte sich hinter den Vorhängen versteckt. Sie war ins Schlafzimmer gestürzt und hatte die Kommode und den Schrank durchwühlt auf der Suche nach einem Brief oder einem anderen Hinweis, warum ihre Mutter sie verlassen hatte und wohin sie gegangen war. Lilly fürchtete, den Grund zu kennen, zumindest teilweise. Noch heute hatte sie Schuldgefühle und war überzeugt, dass ihr Streit mit ihrer Mutter der eigentliche Anlass für ihr Weggehen gewesen war.
Damals war Lilly sogleich aufgefallen, dass ihre Mutter ihren Schmuck und ihre besseren Kleider mitgenommen hatte. Dann hatte sie gesehen, dass auch die Karte weg war. Die Weltkarte, über der sie an regnerischen Nachmittagen mit ihrer Mutter gesessen hatte – das rechteckige Stück dicken, gefalteten Papiers in der Farbe eines Teeflecks. Die Namen und Bezeichnungen konzentrierten sich auf zwei Bereiche: die Alte Welt im Osten und die Neue Welt im Westen. Als Kind hatte Lilly kaum glauben können, dass die winzige, wie ein Kaninchen geformte Insel England war, wobei Schottland die Ohren des Kaninchens bildete. Wie klein war ihre Welt im Vergleich zum Rest! Mutter hatte das genauso gesehen und zusammen hatten sie stundenlang geträumt, mit den Fingern die Breitengrade nachgezogen und die Namen ferner Orte unterstrichen – die kanarischen Inseln, Trinidad, Tobago, das südliche Eismeer – und sich laut ausgemalt, wie es dort wohl aussah. Ihre Mutter wusste anscheinend, wie lange eine Seereise in die Terra Australis dauerte, in das Land, in das die verurteilten Verbrecher deportiert wurden, oder auch, wie lange man zum Kap von Afrika oder ans Kap Horn, nach Südamerika, unterwegs war.
Rosamond Haswell hatte die
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