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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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hatte.
    »Wissen Sie etwas über Thomas Guy, Miss Haswell?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich bewundere ihn sehr. Er war der Sohn eines Kohlenhändlers und hat ganz klein angefangen, als Buchhändler. Sein Vermögen hat er unter anderem mit dem Verkauf von Bibeln gemacht. Eine Liste all dessen, was er tat und was er spendete, wäre so lang wie der Arm eines Mannes.«
    Sie gingen zwischen Säulen und unter einem Torbogen hindurch und betraten das Gebäude. Auf einmal schien Dr. Graves zum Leben zu erwachen. Der zugeknöpfte Mann, den sie auf dem Ball kennengelernt hatte, war verschwunden. Voller Eifer führte er sie durch die Haupthalle, die Kapelle, den Vorlesungssaal und zwei der zwölf Stationen.
    »Dies ist ein Lehrkrankenhaus«, erklärte er ihr. »Apotheker, angehende Wundärzte, Ärzte und Operationsassistenten kommen hierher, um sich weiterzubilden.«
    Ihr Interesse war geweckt, weil er auch die Apotheker erwähnt hatte, doch diesmal sagte sie nichts.
    Ein junger Mann mit einem Stapel Bücher und Papieren kam um die Ecke gerannt und stieß mit Dr. Graves zusammen. Graves streckte noch die Hände aus, um einen Zusammenprall zu verhindern, aber die Bücher und Papiere rutschten dem anderen trotzdem aus dem Arm und verstreuten sich über den Boden.
    »Keats, passen Sie doch auf!«
    »Tut mir leid.« Der junge Mr Keats hockte auf den Fersen und fing an, seine Sachen einzusammeln. Lilly half ihm; sie hob ein Blatt auf, das auf ihrer Zehenspitze gelandet war. Als sie es genauer betrachtete, war sie überrascht, die Stanzen eines Sonetts zu sehen, geschrieben in einer sehr schönen Handschrift. Ein paar Zeilen sprangen ihr ins Auge . O EINSAMKEIT! … komm mit mir auf den steilen … blumenbedeckten Hügel …
    Als er aufstand, sah Lilly, dass der Mann, der etwa so alt war wie sie, zerstreut und flatterhaft wirkte wie ein kleiner Vogel.
    Sie streckte ihm das Blatt hin. Als er es sah, beruhigte er sich etwas. Er hob den Blick und sah sie zum ersten Mal an, argwöhnisch, wie ihr schien. Kommentarlos gab sie ihm das Blatt zurück. Er legte es unter das oberste Buch auf seinem Stapel.
    »Vielen Dank, schönes Fräulein.«
    »Miss Haswell, darf ich Ihnen Mr John Keats vorstellen?«
    Der junge Mann verbeugte sich. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
    »Mr Keats lernt bei uns den Apothekerberuf, nicht wahr, Mr Keats?«
    Der andere zog den Kopf ein. »Ja … und noch andere Dinge.«
    Graves betrachtete die Bücher, die Keats im Arm hielt. »Ein Gedichtband … ich erinnere mich gar nicht, dass das im Lehrplan stand.«
    »Nein, Sir. Nur in meiner Freizeit, Sir.«
    John Keats verneigte sich abermals vor Lilly und hastete weiter, den Flur hinunter.
    Dr. Graves blickte ihm nach und schüttelte den Kopf. »Ein sehr eifriger Student, aber leider ein Träumer. Er hält sich für einen Dichter und notiert lauter Unsinn am Rand seiner Bücher.«
    Dann führte er sie zwei Treppen hinauf. »Ich bringe Sie nicht hoch in den Operationssaal, aber der Vorlesungssaal interessiert Sie vielleicht.« Er stieß die Tür auf und schob sie hinein. Es roch süßsauer, ein Geruch, den sie sofort als Blutgeruch erkannte. Der Saal selbst war hufeisenförmig mit jeweils drei Bankreihen, die sich halbrund auf zwei Seiten hintereinander erhoben.
    Er führte sie die steilen Stufen hinunter. In der Mitte stand ein schmaler hölzerner Tisch. Licht von einem Oberlicht und von zwei an der Decke aufgehängten Petroleumlampen erhellten die Szenerie. Unter dem Tisch stand ein Kasten mit Sägespänen zum Auffangen des Blutes, wie sie vermutete. Daneben standen ein gewöhnlicher Esstischstuhl und ein Tischchen mit Instrumenten. An der Wand lehnte gebrauchsfertig ein Schrubber, daneben stand ein Eimer.
    Von seiner niedrigeren Position aus deutete Dr. Graves zu den Bankreihen hinauf, die sich vor ihm erhoben. »Die ersten zwei Reihen sind für die Operationsassistenten, dahinter sitzen die übrigen Studenten. Von allen, den künftigen Ärzten und Wundärzten ebenso wie von den Apothekern, wird erwartet, dass sie die Vorlesungen besuchen.«
    Plötzlich flog die Tür über ihnen, durch die sie hereingekommen waren, auf und ein Strom junger Männer ergoss sich in den Saal und verteilte sich unter freundschaftlichen Scherzen und Schubsen in den Sitzreihen.
    Graves runzelte die Stirn und sah sie entschuldigend an. »Es steht wohl doch eine Operation an. Vielleicht ein Notfall. Gehen wir.«
    Doch bevor sie den Raum verlassen konnten, ging die Seitentür auf und zwei

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