Das Geheimnis der Apothekerin
denn je , dachte Lilly. Sie war nur froh, dass sie ihr schönstes Reisekleid mit dazu passendem Jäckchen trug. Das Mädchen sah sie an und knickste. Lilly erwidert den Gruß steif.
»Hallo, Miss Haswell. Wissen Sie schon, dass Mr Baylor ein göttlicher Tänzer geworden ist?«
Lilly schüttelte stumm den Kopf.
»Ich habe noch nie ein so schönes Dorffest wie das letzte erlebt. Nun, bis zum nächsten Mal, Mr Baylor.«
Er verbeugte sich knapp vor ihr und wandte sich dann wieder Lilly zu.
Während sie Dorothea Robbins nachsah, die anmutig die Straße hinunterging, schüttelte Lilly vor Abscheu den Kopf. Manche Dinge ändern sich aber auch nie .
Sie sagte: »Jetzt weiß ich, warum , oder sollte ich sagen, für wen du Geld verdienen musst.« Damit drehte sie sich um und stolzierte davon.
Sie lief durch die Milk Lane zurück und bog dann in die High Street ein. Sie wollte zum Kaffeehaus und hoffte verzweifelt, dass es nicht auch völlig heruntergekommen war. Was sollte sie tun, wenn es verlassen war? Wenn Mrs Mimpurse und Mary weg waren? Bitte, Gott, bitte!
Sie lief um die Ecke und schluchzte vor Erleichterung auf. Die alte Mrs Kilgrove und eine andere Matrone traten gerade aus dem Kaffeehaus, in dessen Fenster Kerzenlicht schimmerte. Sie ging rasch zur Tür, stieß sie auf und trat ein. Und dann genoss sie den Anblick der Tische, an denen die Gäste saßen, und des hell brennenden Feuers, das leise Stimmengewirr der Gespräche, den Duft nach Kaffee und Zimt und Leben.
»Lilly Grace Haswell!«
Plötzlich war Mrs Mimpurse da, kräftige Arme hielten sie umschlungen, ein mehlbestäubter Körper drückte sie fest, der Duft von Muskat, Ingwer und Holzrauch umgab sie. Lilly umarmte die Frau und spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
»Ich wusste, dass Sie kommen würden, Miss Lilly. Ich wusste es. Gott dem Herrn sei Dank.«
Mary kam aus der Küche und stand in der Tür. Sie trocknete ihre Hände an einem Küchenhandtuch ab, trat aber nicht näher, sondern beobachtete Lilly prüfend. Lilly befreite sich aus Mrs Mimpurses Umarmung und ging zu Mary. »Ich habe dich vermisst.«
»Ach, wirklich?«
Lilly nickte und breitete die Arme aus und Mary ließ sich umarmen. »Ich dich auch.«
»Mary, mein Liebling«, sagte Mrs Mimpurse ruhig, »ich muss dich leider bitten, ein paar Minuten lang allein zurechtzukommen.«
Mary nickte in grimmigem Verstehen. Mrs Mimpurse nahm Lillys Hand und führte sie die Treppe hinauf in ihr kleines Wohnzimmer. Sie bewegte sich mit jugendlicher Kraft und Anmut, obwohl sie so alt war wie Lillys Vater. »Setz dich, Liebes. Möchtest du etwas zu essen? Kaffee? Tee?«
Lilly schüttelte den Kopf. Sie hatte einen dicken Kloß im Hals und ihre Hände wurden feucht, wenn sie daran dachte, was Mrs Mimpurse ihr zu sagen hatte.
»Bist du schon zu Hause gewesen«, fragte sie.
Lilly nickte.
Mrs Mimpurse schüttelte energisch den Kopf. »Ich hätte schon viel früher geschrieben, aber dein Vater hat es mir ausdrücklich verboten. Er sagte, lasst sie in Ruhe, beunruhigt sie nicht. Aber … nun, hast du ihn gesehen?«
Wieder nickte Lilly.
»Der Laden war in letzter Zeit fast immer geschlossen. Wenn du ihn nicht in Ordnung bringst, wird die Haswell-Apotheke sich nicht mehr erholen, fürchte ich.«
»Es geht also schon eine ganze Weile so?«
»Leider ja.«
»Wie ist das gekommen?«
»Ich weiß es selbst nicht so genau. Er ist schon seit Monaten nicht mehr er selbst. Dann kam dieser neue Wundarzt-Apotheker und das schien ihm den Rest zu geben.«
»Aber ist er … ist er tatsächlich …?«
»Ein Trinker? Ich weiß nicht, was ihm fehlt. Er weigert sich, Dr. Foster aufzusuchen.«
»Ich weiß. Ich habe es ihm ebenfalls vorgeschlagen, aber er wollte es auf keinen Fall.«
»Es steht nicht zum Besten zwischen den beiden.«
»Und jetzt hat auch noch Francis ihn verlassen. Wie konnte er das tun?«
»Du solltest nicht zu hart über ihn urteilen, Liebes. Dein Vater war zum Schluss sehr seltsam. Ich glaube, er wollte ihn loswerden. Mrs Fowler hat er auch weggeschickt, damit er keine Zeugen seines Abstiegs hatte. Er ließ sich von keinem helfen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Na ja, jetzt bist du ja zu Hause.« Mrs Mimpurse lächelte ermutigend. »Und wenn irgendjemand das Ganze wieder in Ordnung bringen kann, dann du.«
Mrs Mimpurse bestand darauf, sie nach Hause zu begleiten. Sie trug einen Topf mit einem Eintopfgericht, Lilly hatte zwei Laibe Brot unter dem Arm. Sie gingen durch den schmalen
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