Das Geheimnis der Apothekerin
gehören.
Wie geht es deinem Vater denn überhaupt? In deinem Brief hast du ja nur Andeutungen gemacht, Liebes, und wenn das Absicht war, werde ich auch nicht weiter in dich dringen. Aber wenn es irgendetwas gibt, was wir tun können, brauchst du es nur zu sagen.
Apropos was wir tun können – ich lege diesem Brief einen Wechsel bei. Bitte lehne das Geld nicht ab. Du musst mir glauben, dass ich ursprünglich die Absicht hatte, dir das Geld gleich mitzugeben. Ich wollte, dass du eine Reserve hast; wir wussten ja nicht, was dich zu Hause erwartet. Ich habe es dir dann doch nicht gegeben – oder nur einen sehr viel geringeren Betrag, als ich vorhatte –, weil ich dich, wie ich zugeben muss, kurz halten wollte in der Hoffnung, damit deine Rückkehr zu beschleunigen. Daran siehst du, wie viel uns an deiner Gesellschaft liegt! Bitte vergib mir meine Dummheit und tu mir den Gefallen, das Geld anzunehmen und für dich und deinen Vater zu verwenden.
Bitte schreib bald zurück und halte uns auf dem Laufenden.
Wir verbleiben
deine Tante und dein Onkel, die dich lieben
Wie gütig sie waren! Die liebevollen Worte ihrer Tante – ja selbst das Eingeständnis ihrer wohlgemeinten Manipulationen – freuten Lilly innigst und weckten große Sehnsucht nach Onkel und Tante Elliott in ihr. Mit dem dringend benötigten Geld, das sie ihr schickten, konnte sie Francis die Dinge bezahlen, die er ihr besorgt hatte, neue Bestellungen aufgeben und anfangen, die Schulden ihres Vaters abzubezahlen.
Es würde eine solche Erleichterung sein, alte Verpflichtungen zu begleichen und ganz neu anzufangen! Gleichzeitig konnte sie nicht leugnen, dass der Brief ihrer Tante die gerade im Verlöschen begriffene Glut der Sehnsucht nach all den Dingen ihres Londoner Lebens, die sie so vermisste, von Neuem entfacht hatte. Ob sie wohl von irgendjemand außer von den Elliotts in London vermisst wurde?
24
Ein geschickter Blutegel bewirkt mehr als hundert Soldaten.
Samuel Butler, englischer Satiriker
Ein paar Tage später klopfte zu Lillys Überraschung Mr Shuttleworth mit seinem Gehstock an die Ladentür – eine Gepflogenheit, die, wie sie wusste, in London gerade große Mode war.
»Mr Shuttleworth! Ich freue mich, Sie zu sehen!«
Er räusperte sich. »Um die Wahrheit zu sagen, Miss Haswell, ich mache mir Sorgen.«
»Ach? Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ja, das können Sie tatsächlich.« Das strahlende Lächeln, das sonst immer auf seinem Gesicht lag, fehlte. »Ich weiß, dass Mr Baylor Sie mit Pulver und anderen Artikeln aus meiner Apotheke versorgt hat.«
Sie schluckte. »Ja, hin und wieder. Wenn es ganz dringend war.«
»Nun, das gefällt mir gar nicht. Ganz und gar nicht.«
Sie hatte den Mann noch nie so ernst gesehen. Aber Francis hatte doch gesagt, dass sein Arbeitgeber nichts dagegen hätte! »Wir haben die Sachen bezahlt, den vollen Preis.«
»Ja, ja. Ich beschuldige ja niemand des Stehlens. Dennoch kann ich nicht zulassen, dass es so weitergeht.«
Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, das ausgeschimpft wurde. Ein Gelegenheitsdieb, der erwischt worden war. »Bitte verzeihen Sie, Mr Shuttleworth. Sie haben völlig recht. Ich hätte Sie fragen müssen.«
«Ja, das hätten Sie. Ich hätte es nämlich niemals erlaubt.«
Sie biss sich auf die Lippen. So hatte sie ihn wirklich noch nie erlebt. Es wäre schlimm, wenn sie auf seine Hilfsbereitschaft verzichten müsste. Und wenn sie tatsächlich Francis' Stellung aufs Spiel gesetzt hätte. »Es wird nicht mehr vorkommen«, versicherte sie ihm.
»Das hoffe ich doch sehr. Das nächste Mal kommen Sie zu mir und ich gebe Ihnen, was immer Sie brauchen, zum Großhandelspreis. Zum vollen Großhandelspreis. Wir sind doch Kollegen, oder? Wir gehören doch der gleichen beruflichen Vereinigung an?«
Und jetzt sah sie es. Den Anflug eines Zwinkerns in seinen schwarzen Augen.
»Ja, ich glaube, ja.«
Er trat einen Schritt näher und lächelte beinahe traurig. »Und mehr noch, sind wir denn nicht Freunde? Ich hatte es jedenfalls gehofft.«
Sie nickte. »Sie haben recht, Mr Shuttleworth. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Verzeihen Sie mir bitte.«
»Ich verzeihe Ihnen, aber nur unter einer Bedingung.«
»Ja?«
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.« Er hob die Hand. »Einen geschäftlichen Vorschlag. Sie beziehen alles, was Sie brauchen, von mir – zum Selbstkostenpreis, vorausgesetzt, sie kaufen nicht meine gesamten Vorräte auf. Dafür darf ich bei Ihnen Kräuter, Blüten und
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