Das Geheimnis der Apothekerin
müssen. Aber sie war so sicher gewesen, dass ihr Vater die materia medica vorrätig hatte. War ihr Wunsch, dass die Haswell-Apotheke sich noch als funktionsfähig erwies, denn so falsch? Oder auch der Wunsch, ein Geschäft zu machen? Sie lachte freudlos. Wenn ihre Freunde in London sie jetzt sehen könnten und wüssten, dass sie wie eine Geschäftsfrau dachte! Sie sollte endlich in den Laden zurückgehen und Mrs Hurst sagen, dass sie das Benötigte nicht vorrätig hatte.
Die Hintertür sprang auf und Francis stürmte herein, ein Keramikgefäß unter dem Arm. »Komm schon, wir müssen Pulver zubereiten. Eine Ohrfeige kannst du mir später geben.«
»Ich wollte dir keine Ohrfeige geben«, flüsterte Lilly. Ihr war im Gegenteil mehr danach, ihn zu umarmen. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Fieberpulver.
Während sie Seite an Seite arbeiteten, beobachtete Lilly seine flinken Bewegungen. »Du bist ziemlich gut darin geworden.«
»Du klingst, als überrascht dich das.«
»Na ja …«
Er streckte die Arme aus, damit sie ihm die Ärmelschoner überstreifen konnte. »Ich sollte froh sein, dass du nach London gegangen bist.«
Das erschreckte sie.
»Wie es aussieht, war es ein Segen für mich«, fuhr er fort. »Ich musste endlich lernen, selbstständig zu werden. Als du noch da warst, war es immer leichter, dich zu fragen, als diese dicken Wälzer herauszuholen und nach der Antwort zu suchen. Danach dauerte es zwar länger, aber dann wusste ich die Antworten wenigstens und konnte sie auch behalten.«
»Ich bin froh, dass immerhin einer von meiner Abwesenheit profitiert hat.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich froh darüber war. Und genauso wenig tut es mir leid, dass du zurückgekommen bist.«
Wie endgültig das klang. Ihr war nicht wohl dabei, deshalb nickte sie nur.
»Wenn es dir doch nur auch nicht leidtäte«, sagte Francis sehnsüchtig.
Sie zögerte, aber ihr fiel keine passende Antwort ein.
Francis rieb sich die Hände. »So, was brauchen wir noch?«
Nach kurzer Zeit war die Arznei für Mrs Hurst fertig und in kleine Papiertütchen verpackt. Sie drückte seinen Arm und flüsterte: »Danke.«
Mit einem ganz leichten Lächeln legte er seine Hand auf ihre, die noch ganz schmutzig war.
Lilly ging nach vorn in den Laden, um sich für die Verzögerung zu entschuldigen und der Mutter die Dosierung zu erklären. Wenn sie Mr Shuttleworth das Kalziumphosphat bezahlt hatte, würde kaum noch ein Gewinn übrig bleiben, aber die Haswell-Apotheke hatte hoffentlich eine Kundin gewonnen, die wiederkommen würde.
In der folgenden Woche erhielt Lilly einen Brief von ihrer Tante. Sie öffnete ihn nur zögernd. Wie Tante Elliott wohl auf die Nachricht, dass Lilly nun doch nicht nach London zurückkehren würde, reagiert hatte?
Liebe Lillian,
dein Brief war uns Kummer und Freude zugleich. Wie sehr haben dein Onkel und ich befürchtet, dass du dich wieder in dein früheres Leben hineinziehen lässt! Alle unsere Mühen umsonst. Ich muss gestehen, dass dies der zweite Brief ist, den ich angefangen habe, nachdem ich den deinen erhalten hatte. Mein erster war ein verzweifelter Versuch, dich zu überreden, sofort zurückzukommen. Voller Aufzählungen, was du alles verpasst, wie schön wir es miteinander haben könnten. Zutiefst egoistisch, wie mir jetzt klar ist. Nun ja, nicht zutiefst – ich bin überzeugt, dass du hier noch immer Erfolg haben könntest. Aber natürlich musst du so lange in Bedsley Priors bleiben, wie dein Vater dich braucht. Ich habe diese deine gute Eigenschaft ja schon kennengelernt, als wir uns das erste Mal begegneten – als du dir für deinen Bruder so leidenschaftlich all die Vorteile gewünscht hast, die dir dann zuteil wurden. Wir haben deine selbstlose Loyalität schon damals bewundert; wie könnten wir da jetzt, wo du denselben noblen Zug zeigst, schlecht von dir denken?
Mein Liebes, deine liebevollen Worte der Zuneigung waren ein solcher Trost für uns! Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass dies wahrscheinlich deine letzte Saison sein würde, aber nichts liegt mir ferner als anzudeuten, damit sei deine Zeit bei uns für dich vorüber. Du bist uns immer von Herzen willkommen, Lillian. Wir hoffen, dass du, wenn sich die Sache mit deinem Vater geklärt hat, zu uns zurückkommst, vielleicht nicht unbedingt, um einen Verehrer zu finden, aber um das Glück der Gemeinschaft mit Menschen zu genießen, die dich lieben und bewundern – und zu denen zuallererst dein Onkel und ich
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