Das Geheimnis der Apothekerin
das andere Kräuterzeug kaufen, das ich brauche. Ich habe von Mr Baylor gehört, dass Sie einen ausgezeichneten Kräutergarten haben.«
»Nicht so ertragreich, wie er früher war. Aber wir geben uns Mühe damit. Immerhin konnten wir die ganze Woche ernten.«
Er schob mit der Spitze des Spazierstocks seine Hutkrempe zurück. »Ich muss gestehen, dass ich nie ein guter Gärtner gewesen bin. Mir liegt zu viel an sauberen Händen und schöner Kleidung. Ich muss wegen jeder Kleinigkeit auf den Markt gehen. Es wäre ein Segen für mich, wenn mir jederzeit frische Haswell-Kräuter zur Verfügung stünden.«
»Wirklich?«
»Wirklich.« Er streckte die Hand aus, eine Geste, die zwischen unverheirateten Damen und Herren sehr selten, unter Händlern – unter Geschäftspartnern – aber durchaus üblich war. »Haben wir ein Abkommen?«
Sie gab ihm mit einem reumütigen Lächeln die Hand. »Das haben wir.«
Am nächsten Tag stand ihr Vater gar nicht erst auf. Es war jetzt vierzehn Tage her, seit er ihr versprochen hatte, einen Arzt aufzusuchen, aber er weigerte sich noch immer und sie brachte es nicht über sich, gegen seinen Willen jemanden kommen zu lassen.
»Ich glaube, ich sollte mich zur Ader lassen«, sagte er. »Bringst du mir bitte das Gefäß mit den Blutegeln?«
Lilly war nicht wohl bei dem Gedanken. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«
»Ich glaube, ja. Ich würde es selbst tun, aber es ist eine verdammte Mühe, sie auf dem Rücken liegend anzusetzen.«
Lilly ging die Blutegel holen. Der schlichte weiße Topf hatte einen fest sitzenden Deckel und winzige Luftlöcher. Hirudo medicinalis waren dafür bekannt, sich durch die kleinsten Öffnungen zu zwängen. Wenn man sie einem Patienten ins Gesicht setzte, musste man höllisch aufpassen, dass sie nicht in die Nasenlöcher krochen.
Vorsichtig hob sie den Deckel an und spähte hinein. Ein starker Geruch nach verfaultem Fisch drang heraus und verursachte ihr Übelkeit. Es war kein Wasser mehr drin, die Egel waren halb tot. Wie konnte sie das beim Putzen übersehen haben?
Lilly stöhnte. »Ich glaube, wir müssen erst welche besorgen, Vater. Ich helfe dir, sobald ich zurück bin.« Sie wollte ihren Vater nicht reizen, indem sie ihm sagte, dass sie die Egel bei seinem Rivalen kaufen würde, und war erleichtert, als er nicht nachfragte.
Sie machte sich auf die Suche nach ihrer Handtasche. »Aaron Jones liefert heute Kohlen an«, rief sie. »Wenn er kommt, während ich weg bin, sag ihm, ich regle das später.«
»Ja, gut. Brauche nicht so lange.«
Sie steckte ein paar Geldscheine in ihre Tasche, hängte das neue, handgeschriebene Schild mit der Aufschrift Bin gleich zurück in die Tür und ging hinaus. Dann lief sie mit raschen Schritten die High Street hinauf und bog in die Milk Lane ein, in der sich der Laden ihres Konkurrenten, Mr Shuttleworth, befand. Es war ihr zwar nicht recht, dass sie mitten am Tag hingehen musste, aber diesmal ging es nicht anders.
»Miss Haswell!«, begrüßte Mr Shuttleworth sie und blickte von seiner prächtigen großen Theke auf. »Welch eine hübsche Überraschung. Mr Baylor ist leider nicht da.«
»Eigentlich wollte ich zu Ihnen.«
»Wunderbar. Was kann ich für Sie tun?«
Sie holte tief Luft. »Ich brauche Blutegel.«
»Sie und die gesamte Ärzteschaft. Wussten Sie, dass es gerade einen regelrechten Blutegel-Engpass gibt? Die letzte Lieferung musste ich aus Deutschland kommen lassen. Die Franzosen scheinen sie fassweise zu verbrauchen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Es spielt auch keine Rolle, mein schönes Fräulein. Meine Egel sind Ihre Egel.« Er lachte leise. »Wenn das nicht das Galanteste ist, was ich je gesagt habe!«
Sie lachte ebenfalls. »Wirklich, sehr ritterlich.«
Mr Shuttleworth ging zu der Theke hinüber, an der er seine Medikamente mischte, und holte ein beeindruckendes, über sechzig Zentimeter hohes, mit eleganten Blumen und Schnörkeln verziertes Blutegelgefäß aus dem Regal.
Er blieb stehen und fragte: »Haben Sie Milch im Haus?«
Sie nickte.
»Ausgezeichnet. Das regt sie zum Beißen an. Manchmal sind sie in kapriziöser Stimmung und entschlossen, sich allen Bemühungen, sie anzulegen, zu widersetzen. Wenn Sie einmal wirklich Probleme haben, sollten Sie die Haut mit einem Skalpell anritzen, sodass ein wenig Blut fließt. Dem können sie nicht widerstehen. Bei mir jedenfalls hat dieses Mittel nie versagt.«
Sie hoffte inständig, dass das nicht nötig sein würde.
Als er sah, wie sie
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