Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
seine Finger den Silberdraht um die Bruchstelle berührten, spürte er nicht einen Hauch jenes göttlichen Segens, der dieser machtvollen Reliquie doch innewohnen sollte.
›Und wenn man es recht bedenkt, dann hat sie mir nichts als Ärger bereitet‹, fuhr es ihm durch den Kopf. Als ihm bewusst wurde, was für ein Gedanke das war, schlug er rasch ein Kreuz. Das fehlte ihm gerade noch, dass er sich ausgerechnet jetzt versündigte!
Hastig wickelte er das Kleinod wieder ein und stand auf, just, als seine Leute Tidreads schweren Körper durch den Eingang schleppten.
Der Sachse lebte noch. Doch angesichts des Lochs in seinem Schädel und der großen Blutlache, in der er gelegen hatte, schien es fraglich, wie lange er noch am Leben bleiben würde. Offenbar hatte er sich in der Hitze des Kampfes den Kopf an einem der scharfkantigen Felszähne aufgeschlagen, die aus dem Boden der Höhle wuchsen. Die Männer des Burggrafen hatten die Kopfwunde notdürftig verbunden, doch in seinen bleichen Zügen regte sich nichts, und nur das schwache Heben und Senken seiner Brust zeigte an, dass er noch atmete.
»Schafft ihn in den Kerker der Buchenburg«, befahl er dem Anführer des Trupps Reisiger, die Herwald ihm geschickt hatte. »Doch geht schonend mit ihm um, und macht es ihm so angenehm wie möglich. Er muss mir noch eine Frage beantworten, und ich verwette Penelopes Schwanz, dass auch der König noch die eine oder andere Frage an ihn haben wird.«
Für einen Augenblick starrte der Mann ihn verdutzt an, als frage er sich, wessen Schwanz sein Herr verwettete. Dann räusperte er sich und fragte: »Was soll mit dem toten Mönch geschehen?«
Bandolf seufzte. »Schick einen deiner Männer zum Kloster. Er soll die Brüder zu Prior Ordlafs Leichnam führen. Mehr können wir im Moment nicht tun.«
Für einen Augenblick fiel Bandolfs Blick auf Tidreads breite Schultern und seine kräftigen Arme und Beine. Dieser Kampf hätte auch anders ausgehen können. Als er sich auf sein Pferd schwang, dachte er, dass Sankt Mauritius ihm womöglich doch nicht ganz so ungewogen gewesen war, wie er geglaubt hatte. Blieb nur zu hoffen, dass der
Heilige seine Meinung nicht ändern würde, bis er Matthäa wieder sicher in seiner Halle wusste.
Jetzt, da er das Kleinod gefunden hatte, drängte es Bandolf, umgehend nach Worms aufzubrechen. Wenn er sein Weib finden wollte, bevor die Nachricht der heutigen Ereignisse an die Ohren ihrer Häscher gelangte, zählte jede Stunde.
Doch es dämmerte bereits, als er mit Herwald und einer stattlichen Schar Reisiger den Rückweg von der Krähenburg antrat, wo sein Marschalk die Stellung gehalten hatte.
Stephan von Blois hatte er dort tatsächlich nicht mehr vorgefunden. Der burgundische Edelmann hatte die Burg mit zwei sächsischen Edlen samt Gefolge zu früher Stunde verlassen. Falls auf der Krähenburg noch Männer waren, die zu den Aufständischen gehörten, so waren es keine Edelleute, und es würde Zeit kosten, sie zu entlarven. Zeit, die der Burggraf nicht hatte.
Doch er zweifelte nicht daran, dass die Männer des Königs alsbald hier auftauchen würden, um das Unterste nach oben zu kehren. Vielleicht würden sie dann auch Ingild aufspüren, die sich irgendwo verkrochen haben musste. Melisend hatte ihm gesagt, Tidread hätte sie zur Buchenburg zurückgeschickt, nachdem er mit ihr gesprochen hatte. Das schien ihr aber nicht angeraten gewesen zu sein, und so hatte sie offenbar anderswo Unterschlupf gesucht.
Bevor sich das Tor der Krähenburg hinter ihm schließen konnte, warf Bandolf noch einen Blick zurück auf die junge Melisend von Souburg, die neben Tidreads untröstlicher Tochter stand und den Reitern des Burggrafen nachblickte.
Die Nachricht, dass ihr Gatte sich schwer verletzt in Gewahrsam des Burggrafen befand und nach Goslar gebracht
werden würde, um sich wegen Hochverrats vor dem König zu verantworten, hatte sie offenbar kaum überrascht. Viel eher schien sie erleichtert.
»Wusstet Ihr von den Machenschaften Eures Gatten und Vetters?«, hatte Bandolf sie gefragt.
»Was ich wusste, habe ich Euch gesagt. Ich wusste, dass die beiden etwas im Schilde führen. Seht, ich bin nicht blind, und so, wie die Dinge hier in Sachsen liegen …«, hatte sie schulterzuckend erwidert. »Doch mein Gatte war vorsichtig. Genaues konnte ich nie erfahren. Ich hoffte aber, Ihr würdet es herausfinden.«
»Warum? Habt Ihr nicht bedacht, dass Euch das zur Witwe machen könnte?«
Ein feines Lächeln war um ihre
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