Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
große Schar bis an die Zähne bewaffneter Reiter die Buchenburg verlassen. Als der Trupp durch Egininkisrod ritt, schreckte das unerwartete Aufgebot die Dörfler auf, die just ihr Tagewerk begannen.
Beim Galgen an der Wegkreuzung machte die Schar Halt.
»Wenn du das Kleinod in Goslar dem König übergeben hast, kehre zur Buchenburg zurück, sobald dich der König entlässt«, sagte Bandolf. »Und kümmere dich um diesen kleinen Nichtsnutz von Schreiber. Da ich seinen verlorenen Schatz wiedergefunden habe, erwarte ich, dass der König sich zu meinen Gunsten verwenden wird, zumindest, was Prosperius betrifft.«
Sein Marschalk nickte. »Und Ihr?«, fragte er.
›Wenn ich das nur wüsste‹, dachte der Burggraf. Tidread hatte sein Bewusstsein noch nicht wiedererlangt, wenn er überhaupt jemals wieder zu sich kommen würde, und so hatte Bandolf noch immer nicht die geringste Ahnung, wo er nach Matthäa suchen sollte und wie er sie befreien könnte. Er wusste nur, dass er Worms so schnell wie möglich erreichen musste.
Vage zuckte er mit den Schultern.
»Gott mit Euch, Herr.«
»Gott mit dir«, erwiderte Bandolf. Auf seinen Wink lösten sich fünf Reiter aus der Schar, die ihm auf den Weg nach Süden folgten.
KAPITEL 29
Worms, 18. Tammus im Jahre 4826
nach Erschaffung der Welt
(14. Juli im Jahre des Herrn 1066)
E ntgegen seiner Gewohnheit blieb Joschua nach dem Morgengebet nicht mehr vor der Synagoge stehen, um sich an den Debatten seiner Mitstudenten zu beteiligen.
Am Tag zuvor hatte er eine Botschaft seines Vaters erhalten, die ihm Rätsel aufgab, und kaum war das Kaddisch verklungen, kehrten seine Gedanken zu der Nachricht aus Sachsen zurück.
Jehuda hatte geschrieben, er befinde sich wohlauf, sei zuversichtlich, dass in Worms alles zum Besten stünde, und schmückte seine Botschaft mit einer Beschreibung seines Tagesablaufes.
Kein Wort über den Auftrag, der ihn nach Sachsen geführt hatte, kein Wort über das Kleinod. Nicht der geringste Hinweis, ob die Übergabe an ihn nun stattgefunden hatte oder nicht, oder auf das, was im Harudengau vor sich ging.
Geendet hatte die Nachricht mit einem Zitat aus der Mischnah Awot:
Mein ganzes Leben habe ich verbracht unter den Weisen und fand nichts besser für den Sterblichen als das Schweigen. Nicht das Lehrgespräch ist die Hauptsache, sondern das Tun, und wer viel redet, bringt Sünde hervor.
Was wollte sein Vater ihm damit sagen?
War das Zitat ein Rückblick auf Jehudas Leben? Oder wollte er seinem Sohn auf diese Weise mitteilen, was er von ihm erwartete?
Auch Rabbi Jacob und die Ältesten, denen Joschua die Botschaft vorgelegt hatte, waren sich nicht darüber einig geworden, wie jener Spruch aus den Sprüchen der Väter im Zusammenhang mit Jehudas Auftrag zu deuten wäre.
›Am Ende hat Rifka vielleicht recht‹, grübelte Joschua, als er in die Judengasse einbog und in die Geschäftigkeit eines Freitagmorgens im jüdischen Viertel eintauchte.
»Vater hat wie jeder gute Jude die Schriften studiert«, hatte Rifka gemeint. »Doch vergiss nicht, dass er ein Mann ist, der zeit seines Lebens dem geraden Weg gefolgt ist.«
»Was willst du damit sagen?«
»Nun, ich denke, dass die Worte genau das meinen, was sie sagen.« Auf sein Stirnrunzeln hin hatte sie die Zeile auf dem Pergament mit dem Finger nachgefahren. »Sieh mal, … und fand nichts besser für den Sterblichen als das Schweigen .«
»Aber in diesem Spruch ist nicht nur vom Schweigen die Rede, sondern ebenso von der Tat.«
Rifka hatte die Schultern gezuckt. »Ich glaube, Vater wollte uns mit seiner Botschaft einfach nur beruhigen. Wir müssen weiterhin Schweigen bewahren, dann wird alles gut werden.«
Obwohl Joschua gerne glauben wollte, dass sein Weib recht hatte, plagten ihn Zweifel. Die Ältesten waren rührig gewesen. Seit er sich vor einer guten Woche an den Rat gewandt hatte, waren bereits einige der Boten zurückgekehrt, die man ausgeschickt hatte, um Auskünfte über die Männer einzuholen, die Joschua in der Scheune gesehen hatte.
Die Nachrichten waren jedoch alles andere als beruhigend.
Wie Ragnold von Langenthal stammte auch Winand von Beckenbachs Vater aus dem Speyergau. Beide Männer hatten dort reiche Ländereien besessen, bis man sie der Beteiligung an einer Verschwörung gegen den Kaiser, König Heinrichs Vater, beschuldigt hatte. Obgleich man sie des Verrats nicht hatte überführen können, waren sie eines Gutteils ihrer Güter verlustig gegangen. Während Winands
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