Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Lippen erschienen.
Natürlich hatte sie es bedacht! Und wenn er dieses Lächeln richtig deutete, sogar gehofft.
»Im Falle, dass mein Gatte überlebt, wird der König ihn ächten. Dann kann ich nach Flandern zurückkehren«, hatte sie nur gesagt, und der Gedanke schien sie zu beschwingen.
Als er Melisend jetzt dort auf dem Hof stehen sah, das weizenblonde Haar im Wind flatternd, fiel ihm die Haarlocke wieder ein, die sie auf dem Ausguck der Buchenburg verloren hatte, und er fragte sich flüchtig, ob sie wohl einem Mann gehörte, den sie in Flandern wiederzusehen hoffte.
Bis der Burggraf die letzten Vorkehrungen getroffen hatte, um die Heilige Lanze sicher nach Goslar zu bringen, war es dunkel.
»Während Eurer Abwesenheit war ein Bote am Tor. Ich war so frei, die Botschaft für Euch entgegenzunehmen«, teilte ihm Bruder Fridegist mit, als Bandolf sich endlich an
seiner Tafel niederließ, um sich für den morgigen Ritt noch ein wenig zu stärken.
Mit einem Satz war der Burggraf wieder auf den Beinen. »Das sagt Ihr mir jetzt?«
Augenscheinlich gekränkt, schürzte Bruder Fridegist die Lippen. »Mir wollte scheinen, als wärt Ihr den Tag über anderweitig beschäftigt gewesen«, erwiderte er spitz.
Mit einem wütenden Knurren und einem flauen Gefühl im Magen riss Bandolf ihm die kleine Schriftrolle aus der Hand. Nach der ersten Zeile atmete er ein wenig auf. Keine Todesnachricht. Keine neuerliche Drohung. Die Heilerin hatte ihm die Botschaft geschickt und teilte ihm darin mit, dass seine Gattin verschwunden sei, man aber fieberhaft nach ihr suchte. Garsende hegte die Hoffnung, dass man Matthäa bereits gefunden haben würde, wenn der Burggraf in Worms einträfe.
Offenbar hatte die Heilerin keinen Zweifel daran gehegt, dass Bandolf sich unverzüglich auf den Weg machen würde, sobald er ihre Nachricht erhalten hatte.
Zum Schluss versicherte sie dem Burggrafen noch, er könne sich darauf verlassen, dass sie selbst jeden Stein umdrehen würde, um die Burggräfin zu finden. Aufstöhnend fuhr sich Bandolf über die Stirn. Ebendas würde Garsende zweifellos tun und dabei womöglich die Häscher seines Weibes aufscheuchen. Verdammnis, sie würde Matthäas Leben gefährden und ihr eigenes!
Erst nachdem er die Botschaft noch einmal Zeile um Zeile gelesen hatte, ging ihm auf, dass das Siegel bereits erbrochen gewesen war.
Er hob den Kopf. »Habt Ihr diese Botschaft geöffnet?«, fragte er scharf.
»Nun, ich …« Bruder Fridegist räusperte sich. »Gewiss. Mithin bin ich doch Euer Kaplan.«
Mit schmalen Augen starrte Bandolf ihn an. »Ihr seid die längste Zeit Kaplan gewesen.«
Offenbar um ein beschwichtigendes Lächeln bemüht, trat Bruder Fridegist einen Schritt zurück. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht.«
»Dann werde ich es Euch erklären«, sagte Bandolf kalt. »Ich entlasse Euch aus meinen Diensten. Ihr werdet Euer Bündel packen und diese Burg mit dem ersten Hahnenschrei morgen früh verlassen.«
Bruder Fridegist blinzelte, dann stieß er ein Gackern aus, das offenbar Gelächter andeuten sollte. »Ihr scherzt.«
»Mir ist nicht nach Scherzen zumute.«
Mit empört gerunzelter Stirn warf sich Bruder Fridegist in die Brust: »Dies ist des Königs Burg. Ihr seid nur der Vogt. Und ich unterstehe dem Bischof von Halberstadt. Es steht Euch gar nicht zu, mich fortzuschicken.«
Der Burggraf beugte sich zu Bruder Fridegist hinab, bis er fast mit dessen spitzer Nase zusammenstieß. »Ich werde jede junge Magd, die jemals zur Befriedigung Eurer Lust hat herhalten müssen, in persona vor den König bringen«, raunte er. »Glaubt Ihr wirklich, ausgerechnet der Bischof von Halberstadt, dessen Bruder Ihr mit Eurem losen Geschwätz beleidigt habt, würde Euch die Stange halten, wenn alle Welt erfährt, was Ihr im Schutz Eurer Robe getrieben habt?« Langsam richtete Bandolf sich auf. »Letztlich, Bruder, werdet Ihr Euch glücklich preisen, wenn Ihr noch die Latrinen in Eurem Stift säubern dürft.«
Da seinem ehemaligen Kaplan offenkundig die Worte fehlten, ließ Bandolf ihn stehen. Bereits zwei Stufen zur Waffenkammer hinauf hatte er erklommen, als Bruder Fridegist ihm hastig nachrief: »Es ist bestimmt nicht nötig … will sagen, wird nicht nötig sein, den König mit dieser … dieser Angelegenheit zu bemühen.«
›Ganz gewiss nicht‹, dachte Bandolf. Der Bischof von Bamberg schuldete ihm eine Gefälligkeit. Und das würde vollauf genügen.
Kaum eine Hore später sah das erste Dämmerlicht eine
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