Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
verließ Bandolf das Kloster, ohne Schaden anzurichten. Jedoch auch ohne seinen Kaplan.
Erst auf halbem Weg zur Buchenburg fiel ihm ein, dass Bruder Fridegist noch in der Kirche von Sankt Mauritius auf ihn wartete. Nun, der Kaplan würde selbst seinen Weg zur Buchenburg zurückfinden – was mehr war, als man von Prosperius behaupten konnte.
›Das Dringlichste ist, ihn aus dem Kloster herauszuschaffen, bevor ein Schuldspruch ergangen ist‹, überlegte Bandolf und zerbrach sich den Kopf, wie er das anstellen sollte. Im Gegensatz zum Abt, für den Prosperius’ Schuld bereits festzustehen schien, glaubte er keinen Lidschlag lang, dass sein Schreiber fähig war, derlei Gewalttaten zu begehen, wie man sie ihm zur Last legte.
Als der Burggraf Prosperius zum ersten Mal auf dem Marktplatz zu Worms begegnet war, hatte der Bengel sich just bemüht, einen Kaufmann um seinen Beutel zu erleichtern. Selbstredend war er nicht in der Lage gewesen, die
Buße dafür zu berappen, doch Bandolf hatte nicht das Herz gehabt, den hohlwangigen jungen Burschen mit den hungrigen Augen dem Marktbüttel zu übergeben.
Da Prosperius des Schreibens und Lesens kundig war, hatte er ihn als Schreiber verdingt – eine Tätigkeit, in der sich der Bengel als klug und anstellig erwies. Und obwohl Prosperius nie gelernt hatte, auf ein heimliches Zubrot zu verzichten, wenn man es ihm unter die Nase hielt, war er doch binnen Kurzem ein fester Bestandteil in Bandolfs Haus geworden.
Nach seinem Woher und Wohin befragt, hatte Prosperius von einem Kloster im Norden berichtet, von wo er mit einigen seiner Mitbrüder zu einer Pilgerreise nach Rom aufgebrochen war. In Köln hätte er seine Mitbrüder aus den Augen verloren und sich dann allein weiter auf den Weg gemacht, in der Hoffnung, seine Brüder unterwegs wiederzufinden. Doch auf dem Weg nach Worms seien ihm die Mittel ausgegangen, und von unsäglichem Hunger geplagt, wäre ihm der Beutel des Kaufmanns als letzter Ausweg vor dem Hungertod eingefallen.
›Ich werde ihm für seine Lügen das Fell über die Ohren ziehen‹, schwor Bandolf sich zornig, während er den Hohlweg zur Burg hinaufstapfte. Doch dazu musste er den unseligen Bengel zunächst einmal in die Finger bekommen. Und würde der Abt sich weiterhin dagegenstellen, dass Bandolf Prosperius in Gewahrsam nahm, konnte sich ebendies als schwieriges Unterfangen erweisen. Mochte der Burggraf de facto auch im Recht sein, der Arm der Kirche war lang.
›Und allemal länger als meiner‹, dachte Bandolf mit grimmig verzogenem Gesicht.
Wenn der Abt darauf beharrte, dass sein Schreiber noch immer der klösterlichen Gemeinschaft angehörte, konnte ein kleiner Burggraf wie er leicht den Kürzeren ziehen, und
Prosperius würde ein für alle Mal hinter der Klostermauer verschwinden.
Bei dem Gedanken daran, welches Schicksal seinen jungen Schreiber dann erwarten würde, stellten sich Bandolfs Nackenhaare auf.
KAPITEL 5
N achdem Bandolf das Burgtor passiert hatte, dauerte es kein Te Deum lang, bis er nach seinem Pferd und seinem Marschalk gebrüllt und die Burg, mit Herwald an seiner Seite und einem kleinen Gefolge von Reisigen in seinem Rücken, wieder verlassen hatte. Noch kürzer war die Zeit, die er brauchte, um seinen Marschalk von den Ereignissen in Kenntnis zu setzen.
Herwald jedoch benötigte offenbar länger, um die Nachricht zu verdauen, und erst, als Bandolf seinen Braunen über die letzte holprige Mulde im Hohlweg gezwungen und in den Waldpfad der Senke gelenkt hatte, erkundigte sich der Marschalk, was sein Herr denn nun tun wolle.
»Ich werde Tidread von Krähenburg aufsuchen«, antwortete der Burggraf knapp.
»Glaubt Ihr, er wird Euch beim Abt den Rücken stärken? «, erkundigte sich Herwald.
»Nein«, brummte Bandolf. »Zumindest wird er aber wissen, wo sich Gebhard von Supplinburg aufhält. Gebhard ist Gaugraf vom Harudengau, und Tidread ist mit ihm verwandt. Und falls sich der Abt bei meinem Besuch morgen nicht zugänglicher zeigt, will ich die Angelegenheit vor den Gaugrafen bringen. Doch dazu muss ich zunächst einmal wissen, wo ich den Mann finden kann. Er mag auf seinem Stammsitz sein, befindet sich aber möglicherweise auch im Gefolge des Königs.«
Im Stillen befürchtete Bandolf, dass er auch beim Gaugrafen
auf taube Ohren stoßen würde. Gebhard von Supplinburg war Sachse und würde einem Burggrafen des Königs aus dem Süden ebenso wenig gewogen sein, wie es Tidread von Krähenburg und andere sächsische Edle
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