Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
mit einem undeutlichen Ausruf hoch. Einen Moment lang schien sich alles um sie herum zu drehen. Benommen schüttelte sie den Kopf. Der jähe Schmerz, der durch ihre linke Wange fuhr, trieb ihr die Tränen in die Augen, ließ sie jedoch restlos zu sich kommen und rückte die Dinge wieder an ihren Platz.
Flackerndes Fackellicht und ein Streifen Sonnenschein, der durch die runde Öffnung über einem Altarstein in den Raum fiel, erhellte das Gesicht der Burggräfin, die neben ihr auf dem Boden kniete.
›Es ist schon Morgen‹, dachte Garsende zusammenhanglos, während ihr zugleich tausend Fragen auf die Lippen drängten. Doch als sie in Matthäas ausgestreckte Arme fiel und sie umarmte, brachte sie nur hervor: »Ich bin so froh, Euch am Leben zu sehen.«
»Ich wünschte nur, du müsstest das nicht hier sagen«, flüsterte Matthäa mit tränenerstickter Stimme an ihrer Schulter.
Einen Augenblick hielten die beiden Frauen einander fest umschlungen, dann rückte Garsende ein Stückchen von der Burggräfin ab. Tränen glänzten auf Matthäas Wangen. Sie lächelte, aber selbst im Halbdunkel konnte man die Blässe in ihrem rundlichen Gesicht und die Angst in ihren Augen erkennen.
»Seid Ihr wohlauf?«
»Sie haben mir nichts getan«, antwortete die Burggräfin rasch. »Aber du? Sie haben dich übel zugerichtet. Was ist passiert?«
»Die Scheune … ich hatte mich mit Joschua in der Scheune versteckt …« Verwirrt runzelte Garsende die Stirn. »Wo sind wir?«
Soweit es ihr schmerzender Kopf erlaubte, drehte Garsende sich um und spähte in die Richtung, aus der die Stimmen und Geräusche kamen, die sie geweckt hatten.
Ohne Zweifel befanden sie sich in einer kleinen Kapelle, ganz in der Nähe des Altars. Das Gemäuer schien alt zu sein. Der Putz an den Wänden war brüchig, der mit schmucklosen Steinplatten versehene Boden ausgetreten, und die Malereien wirkten verblichen. Auf der gegenüberliegenden Schmalseite des Altars konnte Garsende vier Männer sehen, die ihr Lager in der Nähe der Pforte aufgeschlagen hatten. Außer dem Mann, der sie niedergetreten hatte, war keiner der anderen in der Scheune gewesen, doch
dem Äußeren nach schienen es Söldner wie er zu sein. Offenbar vertrieben sie sich die Zeit mit einem Würfelspiel, waren jedoch zu weit entfernt, als dass sie mehr als hie und da ein paar einzelne Worte hätte verstehen können. Der Anwesenheit der beiden Frauen schienen sie keine Beachtung zu schenken. Etwa in der Mitte der Kapelle, zwischen dem Lager der Söldner und dem der Frauen, hatte man ein Herdfeuer mit Dreifuß und Kochkessel eingerichtet.
»Wer sind diese Männer? Was wollen sie von Euch?«, fragte Garsende, während ihr Blick über Kisten, Säcke und ein paar kleine Truhen glitt, die an den Wänden aufgestapelt waren, und schließlich zu Matthäa zurückkehrte.
»Ich weiß es nicht.« Die Burggräfin seufzte. »Seit dem Tag, als sie mich hierher brachten, habe ich versucht herauszufinden, warum man mich hier festhält. Aber ich weiß noch immer kaum mehr als ihre Namen.« Als hätte sie das Reden lange vermisst, sprach sie wie gehetzt weiter. »Der Kleine wird Peppin gerufen. Wenn er nicht hie und da einen Ton flüstern würde, hätte ich geglaubt, er könne nicht sprechen. Den Feisten mit dem schütteren, blonden Haar und dem dicken Hals nennen sie Hunfrit. Ein roher Mensch, dem ich tunlichst aus dem Weg zu gehen trachte. « Mit gerümpfter Nase fügte sie hinzu: »Und ob die widerwärtigen Geschichten, die er zum Besten gibt, der Wahrheit entsprechen, will ich gar nicht erst wissen.«
»Wer ist der große Hagere?« fragte Garsende.
»Die Männer rufen ihn Jost. Er macht den Anschein, als wäre er recht umgänglich, aber …« Mehr als dieses »aber« verriet der Ausdruck in ihrem Gesicht Matthäas Zweifel. Als sie weitersprach, sank ihre Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern herab. »Der vierte Mann wird Guillaume genannt. Jost sagte, Guillaume stamme aus Burgund. Wie es scheint, ist er die rechte Hand des Anführers, der
hier hin und wieder nach dem Rechten sieht.« Matthäa erschauerte und legte ihre Hände wie schützend auf ihren vorgewölbten Leib. »Obwohl der Welsche kaum unsere Sprache spricht und auch nur selten ein Wort an mich richtet, habe ich vor ihm die meiste Angst«, gestand sie leise.
›Ich ebenso‹, dachte Garsende. Mit einem Blick auf Matthäas bleiche Wangen zermarterte sie sich den Kopf nach einer aufmunternden Bemerkung, doch ihr wollte einfach nichts
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