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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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ich.«
    »Ein Verstoß gegen diese Regeln gilt als schwerwiegendes Vergehen. Wieso sagen Sie, der Vorwurf wäre lächerlich?«
    »Weil es nicht so war. Ich habe keine Überstunden gemacht, sondern dem Professor einen Freundschaftsdienst erwiesen.«
    »Und das sollen keine Überstunden sein? Wenn Sie bei einem Klienten übernachten? Da muss man doch argwöhnisch werden, oder etwa nicht?«
    »Er ist krank geworden. Ein plötzlicher Fieberausbruch. Ich konnte ihn nicht allein lassen. Zugegeben, ich habe damit gegen die Regeln verstoßen. Aber ich habe nichts getan, was sich für eine Haushälterin nicht ziemt, sondern nur meine Pflicht erfüllt.«
    »Und was hatte Ihr Sohn dort zu suchen?« Der Direktor strich mit dem Zeigefinger über die Kante der Kundenkarte des Professors. »Ich habe bei Ihnen eine Ausnahme gemacht. Normalerweise ist es nicht gestattet, Kinder zum Arbeitsplatz mitzunehmen. Aber weil es dem Kunden ein besonderes Anliegen war und angesichts der schwierigen Situation, in der er sich befindet, habe ich ausnahmsweise ein Auge zugedrückt. Doch die anderen Haushälterinnen haben sich schon beklagt, dass ich Sie bevorzugen würde. Wenn Sie sich nicht an die Dienstvorschriften halten, komme ich in Teufels Küche.«
    »Es tut mir wirklich leid. Ich habe das auf die leichte Schulter genommen. Wegen der Sache mit meinem Sohn bin ich Ihnen sehr dankbar. Ich weiß es außerordentlich zu schätzen, dass Sie mir diesen Gefallen erweisen.«
    »Nun, ich werde Sie einem anderen Kunden zuweisen.«
    Ich glaubte, mich verhört zu haben.
    »Nehmen Sie sich für heute frei. Und morgen stellen Sie sich dann bei Ihrem neuen Arbeitgeber vor.«
    Mit diesen Worten drehte der Direktor die Kundenkarte des Professors um und stempelte das zehnte blaue Sternchen auf die Rückseite.
    »Ich verstehe nicht. Wer will denn, dass ich mich nicht mehr um den Professor kümmere? Er selbst oder Sie?«
    »Die Schwägerin des Professors.«
    »Aber ich habe sie seit dem Einstellungsgespräch nicht ein einziges Mal gesehen«, erwiderte ich und schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe ihr nie etwas getan. Immer habe ich darauf geachtet, unsere Vereinbarung einzuhalten, dass ich sie nicht mit Problemen aus dem Gartenpavillon belästige. Sie zahlt zwar mein Honorar, aber gerade weil sie den Kontakt vermeidet, kann sie meine Arbeit eigentlich gar nicht beurteilen. Wie kann sie mich dann vor die Tür setzen?«
    »Sie wusste jedenfalls genau Bescheid, dass Sie im Arbeitszimmer des Professors übernachtet haben.«
    »Dann hat sie mir hinterherspioniert.«
    »Es ist ihr gutes Recht, Sie bei der Arbeit zu kontrollieren.«
    Mir fiel plötzlich ein, dass ich an besagtem Abend am Gartentor einen Schatten gesehen hatte.
    »Der Professor ist krank. Man muss sich sorgfältig um ihn kümmern. Eine normale Betreuung würde nichts bringen. Wenn ich heute nicht zu ihm gehe, ist er völlig hilflos. Er ist wahrscheinlich gerade aufgestanden, hat auf seine Notizzettel geschaut und sich gefragt, warum keiner bei ihm ist …«
    »Es gibt ja auch noch andere Haushälterinnen«, schnitt der Direktor mir das Wort ab.
    Er öffnete eine Schreibtischschublade und steckte die Kundenkarte des Professors in den Karteikasten.
    »Ich betrachte diese Angelegenheit als erledigt. Es gibt nichts mehr hinzuzufügen.«
    Es machte einen höllischen Lärm, als er die Schublade zuwarf. Damit wurde mein Schicksal besiegelt. Ich war nicht mehr die Haushälterin des Professors.
    Meine neuen Arbeitgeber waren Eheleute, die ein Büro für Steuerberatung führten. Es kostete mich über eine Stunde Fahrzeit, um zu ihnen zu gelangen, und die mir aufgetragenen Arbeiten zogen sich oft bis abends um neun Uhr hin, da es keine klare Abgrenzung zwischen dem Haushalt und dem Büro gab. Zudem hatte die Frau einen schlechten Charakter. Wahrscheinlich hatte mich der Direktor der Agentur bestrafen wollen. Und Root wurde wieder zum Schlüsselkind.
    In meiner Branche waren ständig wechselnde Arbeitgeber üblich, besonders bei einer Firma wie der Akebono-Agentur. Bei den Klienten änderten sich häufig die häuslichen Verhältnisse, und selten gab es ein harmonisches Miteinander zwischen ihnen und den Dienstleistenden. Je länger man an einem Ort verweilte, umso größer wurde das Konfliktpotenzial.
    Einige meiner früheren Arbeitgeber waren immerhin so freundlich, eine Abschiedsfeier für mich zu geben, und es gab Kinder, die mir mit Tränen in den Augen ein Geschenk überreichten. Aber es konnte auch

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